David Wonschewski

Musikjournalist und Autor

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 1. Mai 2013

Erzähl‘ doch bitte etwas über Dich selbst.

Ich bin ein Kind des Münsterlandes, geboren 1977 in Münster und aufgewachsen im Kreis Coesfeld. Wenn ich mir ab und an im Fernsehen den Münsteraner „Tatort“ ansehe, bin ich ganz überrascht wie idyllisch mir die dortige Gegend aus der heutigen TV-Perspektive vorkommt. Damals, nach dem Abitur, war ich allerdings noch nicht so angetan und bin gleich mit dem erstbesten Zug nach Berlin, sozusagen. Inzwischen lebe ich seit 15 Jahren hier, habe zunächst Jüdische Studien und Islamwissenschaft studiert, bin eine Zeit in Nahost unterwegs gewesen und habe danach meinen Weg zum Radio gefunden. Dort habe ich dann zehn Jahre für diverse Sender als Musikredakteur gearbeitet.

Du bist sowohl Schriftsteller als auch Journalist. Der eine arbeitet mit Fiktion, das andere mit der Realität. In welcher dieser zwei Welten arbeitest Du bevorzugt?

Um ganz ehrlich zu sein: Je älter und vielleicht sogar lebenserfahrener ich werde, umso weniger vermag ich diese beiden Welten zu trennen. Wenn ich mir so manche journalistische Schlagzeile anschaue, dann sehe ich da eher den beruflichen Drang mancher Reporter oder Medienmacher, auf Teufel komm raus eine Geschichte zu erzählen. Mit einer klar transportierten, vermeintlich sogar objektiven Realitätsvermittlung hat das mitunter nur noch wenig zu tun. Wie oft wird an vollkommen unspektakulären Begebenheiten so lange herumgeschraubt, bis dann endlich doch noch ein Fünkchen Drama auftaucht, das dann überproportional in den Vordergrund gerückt wird. Vielleicht habe ich auch einfach zu viele Kampagnen und Absprachen erlebt, als dass ich Journalismus automatisch noch mit „Realität“ in Verbindung setzen kann und will. Bücher guter Schriftsteller hingegen, die mögen in fiktionalem Gewand daherkommen – erzählen uns mitunter aber doch mehr über das Leben als viele dieser auf Effekt getrimmten Nachrichten. Dichtung und Wahrheit lagen bekanntlich schon immer nah beieinander. Am Ende geht es in beiden „Welten“ darum, etwas zu erzählen. Und seinen Lesern etwas mit auf den Weg zu geben, was von Belang für sie sein könnte.

Vor Kurzem ist Dein Debüt-Roman „Schwarzer Frost“ erschienen. Worum geht es darin?

In „Schwarzer Frost“ habe ich mich in die Gedankenwelt eines Menschen begeben, der an sich selbst, aber auch an seiner Umwelt zunehmend zerbricht. Dass Depressionen keine Hirngespinste sind, dürfte inzwischen jedem klar sein. Aber was genau ist der Grund für misanthropische Tendenzen, was genau führt immer mehr Menschen in diese Entfremdung, die sie zunehmend unfähiger macht, ihr Leben zu leben? Das Buch legt die Gedankenwelt eines solchen Charakters frei, der feststellt, dass er von einem Menschenekel befallen ist, aus dem er einfach nicht mehr herauskommt. Ihm gelingt es einfach nicht mehr, positive Gefühle aufzubauen und er beobachtet sich selbst dabei, wie er immer tiefer in einen Schlund rutscht. Die Kälte in ihm wird immer stärker – und mit dieser zunehmenden Kälte beginnt er auch sich zu wandeln. Er wird ungerechter, aggressiver, vielleicht sogar jähzorniger. Mord, zu diesem Schluss kommt der Protagonist von „Schwarzer Frost“, ist die in dieser Situation einzig vorstellbare Schwelle über die er noch treten könnte, der letzte Rettungsanker. Mord als letzter Ausweg, um überhaupt noch zu Gefühlen zu gelangen. Mit Fiktion, um auf Deine vorherige Frage anzuschließen, hat das wenig zu tun. Dafür gab es zuletzt denn doch zu viele Meldungen über Amokläufer. Oder aber Selbstmörder.

Thema in „Schwarzer Frost“ ist auch die Verrohung der Mediengesellschaft. Du hast selbst zehn Jahre lang als Musikjournalist gearbeitet. Wie gewalt(tät)ig sind denn diese Medien nach Deiner Erfahrung wirklich?

Vermutlich ist die Medienbranche gar nicht verrohter als andere Berufszweige, sondern eher ähnlich verroht. Was es hier jedoch so prekär macht, ist die subjektiv spürbare Fallhöhe, denn was nach außen hin als ewig lächelnder Entertainment-Job auf der sprichwörtlichen Sonnenseite des Lebens gilt, ist hinter den Kulissen vielfach das genaue Gegenteil davon. Und somit gelebter Zynismus. Es gibt eine Reihe Berufsgruppen, die treten ganz gerne als Philanthropen auf. Und erweisen sich bei näherer Durchleuchtung als das genaue Gegenteil. Zu behaupten, gerade ein Job bei Radio oder Fernsehen wäre seelisch betrachtet härter als beispielsweise ein Job bei der Polizei oder als Arzt, ist aber natürlich Unfug. Die wirkliche Härte des Mediengeschäfts ist meiner Ansicht nach darin zu sehen, dass es sich zunehmend selbst ad absurdum führt, vielleicht sogar ein Stück weit pervertiert, in dem es sich immer weiter abkoppelt von der Lebenswelt seiner Hörer oder Leser. Natürlich muss jeder Sender oder jede Zeitung zusehen, dass sie wirtschaftlich gut aufgestellt ist, gar keine Frage. Von dem Moment an, in dem in einer Sendeanstalt die Anzahl der journalistischen Mitarbeiter nur noch einen Bruchteil der Mitarbeiter aus den Bereichen Jura und BWL ausmacht wird es allerdings seltsam. Oder aber auffällig. Wohlgemerkt, es gibt sie noch, die tollen Medienunternehmen, denen durchaus vertraut werden kann und die nicht jede journalistische Fragestellung mit einem Blick auf den Rechenschieber beantworten. Leider nur erkennen wir sie von außen nicht immer auf den ersten Blick, was den Gesamtzweifel nur erhöht.

Es gibt eine Reihe Berufsgruppen, die treten ganz gerne als Philanthropen auf. Und erweisen sich bei näherer Durchleuchtung als das genaue Gegenteil.

Für „Schwarzer Frost“ wurdest Du mit Bret Easton Ellis verglichen. Beleidigung oder Kompliment?

Als Musikjournalist mache ich regelmäßig die Erfahrung, dass nachrückende Musiker sich nicht gern mit großen Namen in einen Topf werfen lassen. Das kann ich ehrlich gesagt nicht so richtig nachvollziehen und da viele Bekannte von mir auf Bret Easton Ellis schwören, ist das für mich dementsprechend eher ein Kompliment als eine Beleidigung. Etwas problematisch wird es lediglich, da ich nie ein Buch von ihm gelesen habe, ich bin nur durch Erzählungen anderer ein wenig „im Bilde“. Ich kann also gar nicht viel darüber sagen, wie treffend dieser Vergleich ist. Etwas anders verhält es sich da mit der Empfehlung, die die Internationale Thomas Bernhard Gesellschaft aus Österreich für mein Buch abgegeben hat. Ich mache keinen Hehl daraus, dass es eine Zeit gab, in der ich im Grunde nur Bernhard gelesen habe, kaum war ich mit dem einen Buch fertig, kam das nächste von ihm dran. Ich habe kein Problem damit zuzugeben, dass diese eigene Leseerfahrung nun auch meinem eigenen Roman ab und an anzumerken ist.

Ist man, wenn man sich als Journalist ohnehin ständig durch geschriebene Worte ausdrücken muss, noch aufgeregt, wenn man – schon wieder – etwas veröffentlicht?

Ja. Denn was diesen Aspekt angeht, so sind die beiden Tätigkeiten kaum zu vergleichen. Als Musikjournalist komme ich unter'm Strich nie alleine daher, ich schreibe ja über jemanden oder setze mich mit den Werken einer anderen Person auseinander. Als Autor verschwinde ich da schnell hinter einem illustren Namen. Bei einem Roman, noch dazu einem, der durchaus kontrovers betrachtet wird, ist das eine ganz andere Angelegenheit. Jetzt stehe ich allein im Windkanal und kann auf niemand anderen mehr zeigen als auf mich. Ein sehr großer Unterschied und auch so ein Aspekt, warum „Schwarzer Frost“ sich für mich wesentlich realer wirkt als so mancher Musikartikel. 

David Wonschewski

Du schreibst als Journalist und auch als Autor je einen Blog. Der Journalistenblog ist aber seit Januar eingeschlafen. Warum?

Eher das Gegenteil ist der Fall: Ich habe meine journalistische Seite sogar ausgebaut. Anfang Januar habe ich mit „Ein Achtel Lorbeerblatt“ ein Magazin für Liedermacher und Chansonniers gegründet. Also jene Musiksparten, die in Deutschland noch immer Massen anzieht, wo uns die Medien aber seit inzwischen Jahrzehnten erzählen wollen, sie wären komplett out. Interviews und Hintergrundberichte, CD-Besprechungen und sogar eine eigene kleine Radiosendung finden sich dort. Seitdem Ikonen dieser Musikrichtung uns direkt unterstützen – Reinhard Mey, Klaus Hoffmann, Christof Stählin – kommt dieses ursprünglich einmal als „klein“ angedachte Projekt sogar ziemlich ins Laufen. Nur die wenigsten der Sachen, die ich dort über das Achtel Lorbeerblatt laufen lasse, finden aber auch den Weg auf meinen Journalistenblog. Zum einen wäre es in Summe zu viel – und zum anderen ist mein Ansatz als Schriftsteller auch ein anderer als denn als musikjournalistischer Liedermacherfreund. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt.

Als Musikjournalist hast Du Leute wie Joe Cocker und Paul Young interviewt. Wer war der schwierigste Interviewpartner?

Eine der wirklich tollen Erfahrungen, die ein Musikjournalist machen kann, ist die, dass die wirklich großen Namen in der Regel die besten Interviewpartner sind. Ich muss da Cliff Richard hervorheben, ein Mann, der mich musikalisch nun eher wenig interessiert, mir aber während unseres Gesprächs eine Lehrstunde in Charisma und erzählerischer Kraft erteilt hat. Und: Menschlichkeit. Denn gerade die findet sich vor allem bei jungen Musikern eher selten und die sind daher auch die schwierigsten Interviewpartner. Vermutlich eine Schwäche, mit der nur wenige Menschen umgehen können: Kaum ist ein kleiner Erfolg da, kaum ist das Scheinwerferlicht auf dich gerichtet, schon mutierst du zum Unsympath. Wirklich schwierig war für mich aber Sandra, die in den späten 80ern so erfolgreiche Popsängerin. Mit der anno 2007 zu sprechen, war wirklich kein Vergnügen. Aber auch das liegt in der Natur der Sache, ab und an muss ein Musikjournalist denn auch Fragen stellen, die sich mit der glorreichen Vergangenheit beschäftigen. Nicht jeder ehemalige Star kann oder will das.

Kaum ist ein kleiner Erfolg da, kaum ist das Scheinwerferlicht auf dich gerichtet, schon mutierst du zum Unsympath.

Was ist Dein nächstes großes Projekt?

Zum einen wollen wir sehen, wie weit es uns mit „Ein Achtel Lorbeerblatt“ in diesem Jahr noch tragen kann. Diverse Pläne liegen bereits vor und derzeit scheint in puncto Publikumsinteresse noch nicht das Ende der Möglichkeiten erreicht. Eine wirkliche musikjournalistische Marktlücke ist da gefunden. Ansonsten schreibe ich derzeit selbstverständlich an meinem Nachfolgeroman zu „Schwarzer Frost“.

Angenommen, Du müsstest auf eine einsame Insel gehen und kannst entweder fünf CDs mitnehmen, oder fünf Bücher, welches Medium nimmst Du mit?

Es würden fünf CDs sein, ganz klar. Das liegt wohl daran, dass ich bei Literatur inzwischen zu nah dran bin. Entweder ich stoße in anderen Büchern dauernd auf tolle Einfälle, die mich frustrieren, weil ich selbst nicht auf so eine gute Idee gekommen bin – oder aber ich analysiere während des Lesens dauernd den Stil und die Sprache des Autors. Eine Angewohnheit vieler Künstler, im eigenen Bereich geht ganz einfach die herrliche Unbefangenheit etwas flöten. Ich würde also fünf Alben mitnehmen.

Welche?

Herrliche Frage, dachte ich doch bisher immer, dass nur Musiker so etwas beantworten dürften. Danke für diese Möglichkeit!

The Chameleons – Strange Times (1986) Television – Marquee Moon (1977) Magazine – The Correct Use Of Soab (1980) Pere Ubu – Dub Housing (1978) Talking Heads – More Songs About Buildings And Food (1978)

Hast Du eine finale Weisheit für uns, oder ein Lebensmotto?

Klar: „Man muss auch mal was zu Ende bringen können.“ Passt zu allen Lebens- und Stimmungslagen.