Was uns bewegt: 5 Tage schweigen und meditieren - Vipassana Retreat

von Portrait von Melek Yaprak Melek Yaprak
Veröffentlicht am 9. Mai 2014

Tag 1

Es ist Sonntag Nachmittag. Ich mache mich auf den Weg ins Waldhaus am Laacher See. Ich fahre mit dem Zug in Richtung Eifel. Ich hasse überfüllte Züge. Manchmal hasse ich sogar Menschen, die in diesen überfüllten Zug sitzen. Manchmal hasse ich überfüllte Züge, die Menschen, die in diesen überfüllten Zügen sitzen und deren Dreckshandys, die dann auch noch klingeln. Neben mir so eine Spezies. Es telefoniert. Ich versuche es mit meinen Blicken zu töten. Funktioniert nicht. Ich schnipse mit dem Finger und zeige böse auf das „Telefonieren Verboten“ Schild. Es legt auf. Aha. Hat also geklappt. Doch plötzlich kassiere ich einen Spruch: „Ich hab doch schon aufgelegt, Mann!“ Also jetzt möchte ich dieser Person (sie oder er, das ist nicht so gut erkennbar) das Telefon quer in den Mund stecken, eine Warteschleife bis nach Bagdad wählen und sie vorne an die Zugspitze binden.

Doch mir wird bewusst: Ich muss aufhören, negativ zu denken. Schließlich möchte ich mich doch ändern. Von einer gestressten Großstädterin zu einer Meisterin des Meditierens. Ein langer Weg liegt vor mir. Aber Julia Roberts hat es in Eat, Love, Pray auch geschafft. Wieder fährt mir ein Reisender mit seinem schweren Koffer über die Füße. Ich fluche und wünsche mir einen Zauberstab herbei, mit dem ich sie alle in billigen PVC verwandele, damit ich mit ihren elendigen Koffern über sie rüber rollen kann.

[PHOTO,3]

Etwas verspätet angekommen im Waldhaus wird mir klar, was ich getan habe: Fünf Tage Verzicht auf jeglichen Luxus. Ich muss Räume und Sanitäranlagen mit anderen, fremden Menschen teilen. Dabei ist meine Toleranzgrenze doch so niedrig. Keine Bücher, kein Telefon. Ich ziehe meine Schuhe aus. Beim Bücken fällt mir mein neues IPhone aus der 300 Euro teuren Ledertasche. Meine grellen Adidas Sneakers sind die auffälligsten im Pulk der anderen Schuhe. Hmm. Irgendwie sehe ich neben den anderen sehr materialistisch veranlagt aus.

Ich werde in ein Mehrbettzimmer gebracht, in dem ein Etagenbett steht. Oben schlafe ich und über mir schläft eine Spinne in ihrem Netz. Alles nicht modern, aber man hat, was man braucht. Nein, jetzt nicht automatisiert das Handy aus der Tasche an ein Ladekabel anschließen! Komm runter, Alte, sag ich mir.

Es gibt Abendessen. Eine Suppe mit Hirse, verschiedene Käsesorten und Kräutertee. Ups, der letzte Burger bei der Fetten Kuh kurz vor Antritt meiner Reise schießt mir durch den Kopf. Hätte ich vielleicht drauf verzichten sollen, denn ich wollte ja weniger Fleisch essen.

Noch dürfen alle reden. Das Schweigen beginnt erst nach dem Abendessen. Roland aus Dortmund setzt sich neben mich und redet wie ein Wasserfall. Ich schaue mich um. Ich bin von Menschen umgeben, denen ich wahrscheinlich im normalen Leben nie begegnet wäre. Ich glaube im Volksmund nennt man sie Ökos. Oder auch Wollsocken. Es geht in den Meditationsraum, der schon fast voll ist. Ich entdecke noch einen wunderbaren Platz in der Mitte mit einer kuscheligen Decke und wundere mich, dass dieser noch frei ist. Gerade als ich meinen Hintern unelegant auf das Sitzkissen hab plumpsen lassen kommt eine Frau. Äh, das ist mein Platz. Oh! Ich bin jetzt schon unangenehm aufgefallen. Ich stehe auf und begebe mich auf einen unsexigeren Platz ganz hinten. Ohne Kuscheldecke. Ach so, die haben sich die Decken selber mitgebraucht, wusste ich nicht.

[PHOTO,5]

Sitzen und meditieren heißt es jetzt. Ich schließe die Augen und freue mich auf Ruhe. Doch meine Gedanken poltern lautstark durch meinen Kopf. Kein Wunder, denn gestern noch war ich auf einer Techno-Party bis in die Puppen. Der Beat hämmert noch immer durch meine Schädeldecke. Ich habe Angst, die anderen könnten ihn hören. Ich schließe die Augen und versuche mich zu konzentrieren. Schön, diese Ruhe. Dieser Weg, zu sich selber zu finden. Tief ein- und ausatmen. Ja genau. Aber leider gehen meine Gedanken schon bald auf Streifzug: Habe ich eigentlich mein Abschminkzeug dabei? Was mache ich als erstes, wenn ich wieder zu Hause bin? Wie geht es in meiner türkischen Lieblingsserie weiter? Haben die hier WLAN? Ich kaufe mir einen blauen Papagei, wenn ich wieder zu Hause bin und bring ihm Schimpfwörter bei. Habe ich .... STTTTTOOOOOOOPP!!! Ich bin doch hier, um zu meditieren! Ruhe im Kopf! Also. Noch mal. Tief ein- und ausatmen. Alle anderen tun es auch. Es geht gut. Genau 40 Sekunden. Dann fängt der Terror wieder an: Also eigentlich wollte ich ja schon ewig meinen Stromanbieter wechseln. Und als ich meine Wohnung verließ, gingen die Heizungen nicht, es wird kalt sein, wenn ich wieder zu Hause bin. Was mache ich eigentlich mit 60? Soll ich mir einen Kräutergarten anlegen? Oh, in meinem Kühlschrank war ja noch Humus, der wird bestimmt schlecht! STTTOOOOPPP!

Die Stunde ist rum. Ich habe kläglich versagt und gehe niederen Hauptes zurück in mein Mehrbettzimmer. Morgen. Morgen klappt es bestimmt besser.