Uns geht’s zu gut - Politikverdrossenheit für Dummies

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 16. September 2013

Gestern Abend konnte sich, wer Lust hatte, auf dem Ersten fünf geifernde, keifende Politiker der großen Parteien ansehen, die sich gegenseitig unterstellten, „was geraucht“ zu haben, Lügen zu erzählen und den Arbeitsmarkt, die Mittelschicht und das Land als solches ruiniert zu haben. Politiker eben: Es waren immer die Anderen und man selbst kann es viel besser. Wie Kleinkinder.

Da in einer Woche an die Urnen gebeten wird, kann man sich wahlweise mit den Parteiprogrammen auseinandersetzen und von AfD bis Union alles einmal studieren, die  Pro und Contras herausarbeiten und dann seine fundierte Meinung fällen, man kann den Wahl-O-Mat benutzen und sich das stundenlange Lesen der Programme sparen, oder man macht es wie meine Oma und wählt die Mutti, weil die ja jetzt so hübsch frisiert ist. Mit anderen Worten: Man kann sich entweder richtig und mit allem Drum und Dran mit Politik auseinandersetzen, inklusive Wirtschaft, Arbeit, Bildung, etc. und damit zu Hause ein halbes Politikstudium hinlegen, oder man macht sein unqualifiziertes Kreuz, wo es einem grade dünkt. Nach dem Motto: Die Linken wollen Leiharbeit verbieten, das find‘ ich gut, die wähl‘ ich mal.

Noch viel einfacher: Man bleibt einfach sitzen und wählt gar nicht. Machen viele andere ja auch - einer von drei Leuten bleibt am Sonntag auf dem Sofa hocken. Bei den Bundestagswahlen 1972 war es nicht einmal einer von zehn, der zu Hause blieb! Aber woher kommt diese Politikverdrossenheit? Warum nutzen immer weniger Leute ihr Recht auf Wahl? Sind sie zu faul, sich damit zu beschäftigen? Ist ihnen Politik zu „trocken“? Der Grund ist ein anderer: Uns geht’s zu gut.

Seit der garstige Österreicher nicht mehr in Berlin sitzt und das Land im Rahmen des gern zitierten Wirtschaftswunders wieder aufgebaut wurde (Danke, ihr Trümmerfrauen!), muss eigentlich keiner mehr Hungern. Die Miete zahlt im Notfall der Staat, die Heizung auch und wer sein Hartz IV lieber versäuft, kann auch noch zur Tafel gehen und kriegt da für lau sein Abendessen. Wer nicht in der untersten Schublade vegetiert, hat natürlich seine Problemchen mit den lieben Rechnungen (Stichworte: Mietpreisbremse, Energiewende) und jammert über hohe Steuern und das teure Benzin, aber darüber jammert doch jeder und trotzdem kommen wir alle irgendwie durch. Kann ja auch jeder 450 Euro so nebenbei ranholen. Steuerfrei. Und genau da liegt der Hund begraben: Wir kommen alle durch! Egal, wer seit 49 an der Macht war – verhungert ist keiner. Das ärgste Problem der Deutschen war die Öl-Krise in den 70ern. Nicht Autofahren zu können ist jetzt aber auch nicht so tragisch. Warum sich also einen Kopf machen? Das können die Politiker viel besser – und die werden auch noch dafür bezahlt. Lass‘ die mal machen!

„Es geht schon lange nicht mehr um Kapitalismus versus Kommunismus, sondern nur noch um die Frage, ob die soziale Marktwirtschaft etwas sozialer oder etwas marktwirtschaftlicher sein soll“, schrieb kürzlich die taz. Minimale Änderungen im Kurs also. Und selbst wenn ich nicht hingehe und die liberalen Schwarzmaler dann immer behaupten, die NPD kriegt dann zwei Stimmen – na meine Güte! Die werden trotzdem nicht gleich Kanzler! Den garstigen Österreicher will doch eigentlich keiner zurück und es gibt ja noch die Rentner, die wählen Sonntag die Mutti und alles bleibt, wie’s ist. Oder der Peer kommt dran. Große Umbrüche wird es dann aber auch nicht geben. Es ist keine Zäsur in Sicht. Wozu also aufstehen?