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Sprech mich an! Ich beiße nicht!

von Portrait von Julia Grimm Julia Grimm
Veröffentlicht am 20. Juni 2016

Ein Plädoyer für mehr Mut unterwegs.

Es war ein sonniger Freitag, eigentlich war ich viel zu spät dran und saß nur zufällig in dieser S-Bahn, als ein junger Mann sich mir gegenüber setze. Ich fand er sah sympathisch aus, hatte aber meine Kopfhörer auf und hörte meine Lieblingsmusik, zu der ich leicht meine Lippen bewegte.

Irgendwann fiel mir auf, dass er mich anschaute. Ich sah ihn an, er lächelte verlegen und ich grinste ungeniert zurück. Ich sah ihn fragend an, aber er lächelte nur. Okay, dachte ich mir, dann lächelt er nur so vor sich hin, wie ich, weil ich die Musik höre, die ich liebe. 2 Stationen später sah er mich immer noch an, machte aber keine Anstalten, mich anzusprechen.

Ich bin 23. Er ist ein wenig jünger, das sah ich ihm an, was mich nicht weiter stört. Wir beide gehören wohl zu der Generation Beziehungsunfähig, zu der uns Michael Nast kürzlich degradiert hat.  Ich sehe seine Ansichten eher kritisch. Nast spricht von uns als Generation der Selbstdarsteller, denen ihre narzisstische Ader verhindert, dass sie längerfristige Beziehungen eingehen.  Einhergehend scheint die Annahme, dass wir einer Generation angehören, der Kommunikation fremd ist, es sei denn, wir können sie über ein unterbemitteltes Medium führen. Wir wischen von links nach rechts und suchen so nach einem Partner. Wir können Dinge nicht mehr persönlich ansprechen, verhalten uns im Internet anders, als im wahren Leben.

Nun, natürlich tun wir das. Das tut jeder. Jeder von uns besitzt eine virtuelle Persönlichkeit, genauso, wie man eine berufliche Persönlichkeit oder auch Rolle einnimmt, eine private, eine mütterliche, eine sportliche, eine freundschaftliche. Ich als Studentin der Medienwissenschaft kann es mir jedoch nicht leisten, die virtuelle Rolle nicht als Teil meiner wirklichen Identität zu sehen. Ich verhalte mich Regelkonform dem Internet gegenüber. XING und andere Kanäle bieten mir zudem die Möglichkeit zu zeigen, wer ich bin oder auch, wer ich sein will. Das sehe ich als Rolle an. Ich verhalte mich im Job auch anders, als privat in einer Kneipe. Dass ich mich durch Instagram und co. selbst inszenieren kann, ist einfach der Lauf der Dinge. Dass mein Instagram Profil aber nicht auch immer irgendwo meine Persönlichkeit darstellt, daran glaube ich fest.

So sehe ich das zumindest. Ich bin aber auch die Art von Person, die eigentlich immer ihre Meinung vertreten kann. Meine Eltern haben mich dazu erzogen, immer für das einzustehen, wofür ich brenne, für das, woran ich glaube, für die Art und Weise, wie ich Dinge sehe. Natürlich beobachte ich auch Gegenteiliges. Menschen, die mir gegenüber nie den Mund aufmachen würden und mir über WhatsApp Romane schreiben, wegen Kleinigkeiten. Und der Herr gegenüber von mir schien einer dieser Menschen zu sein. Denn was ich beobachte, ist, dass einige Menschen meiner Generation dazu neigen, nicht mehr verbal zu kommunizieren. Zwischenmenschliche Kommunikation üben wir seit wir auf der Welt sind, aber es ist ein immer weitergehender Prozess. Wenn wir aufhören mit Menschen zu sprechen, haben wir irgendwann eine innere Blockade, die es verhindert. Und meistens, fällt es uns auch gar nicht auf, da wir ja auf anderen Kanälen kommunizieren.

Ich sah auf meine Uhr und dachte mir nur, super, jetzt werden wir uns geschlagene 25 Minuten gegenüber sitzen und er wird kein Anstalten machen, mich anzusprechen (Anmerkung: beim Verfassen des Artikels habe ich hier tatsächlich ausversehen „anzuschreiben“ geschrieben. Auch bei mir geht das schon los). Obwohl ich durch mein Lächeln, meine Gestik und meinen fragenden Blick ich ihm gewissermaßen mit dem Zaunpfahl eine rüber gezogen habe, dass er mich ruhig ansprechen kann. Ich wollte ihm nicht den Gefallen tun, dass ich den ersten Schritt mache, denn ehrlich gesagt mache ich den viel zu oft.

Was ich hiermit sagen möchte, ist nicht, dass wir jetzt aufhören sollen über Medien zu kommunizieren.  Medien bieten eine riesige Möglichkeit, uns selbst darzustellen, Menschen kennenzulernen, denen man sonst nie begegnet wäre. Aber es ist einfach eine andere Art von Begegnung wie auf der Straße. Ich glaube die Mischung macht es hier, denn auch ein Facebook-Profil kann eine Aussage über die Person treffen, und auch im realen Leben kann man auf Leute treffen, die nicht ihr wahres Gesicht zeigen. Aber wir sollten nie aufhören, den Mut zu verlieren Menschen anzusprechen, weil sie uns sympathisch oder auch unsympathisch sind.

Er hat mich übrigens nicht angesprochen, geschlagene 25 Minuten lang. Er hat sich nicht getraut. Als ich dann raus musste, habe ich ihm meine Nummer auf einen Zettel geschrieben. Wir haben nächste Woche ein Date, nachdem wir die letzten Tage viele anregende Gespräche über WhatsApp hatten. Bis ich irgendwann sagte wir sollten aufhören, da wir uns ansonsten beim Date nichts mehr zu sagen haben.