Buch  - (c) Rainer Sturm / pixelio.de / Buch / http://www.pixelio.de/media/620742 © Rainer Sturm / pixelio.de / Buch / http://www.pixelio.de/media/620742

Kurzgeschichte (6) - Zeit der Veränderung

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 5. Dezember 2016

Es war schon wieder passiert. Er hatte sie erneut zusammengeschlagen. Taktisch klug, sodass man nach außen hin nichts sah. Doch jeder Schritt, jeder Atemzug schmerzte. Sie wusste das er sie nicht liebte, hatte er noch nie getan. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie für ihn auch nie etwas empfunden, bis jetzt. Jetzt hasste sie ihn. Für alles was er ihr angetan hatte. Nur weil er das Gefühl so liebte, wenn sie vor ihm kniete und ihn anflehte es nicht zu tun. Sie hatte versucht sich zu trennen, mehrfach doch jedes Mal, wenn sie auch nur ansatzweise versuchte mit ihm darüber zu reden hatte er ihr bereits die erste Backpfeife verpasst und drohte ihr. Sie hätte nie gedacht, dass es jemals soweit kommen würde. Sie war immer eine starke Frau gewesen, unabhängig und klug. Sie hatte sich immer geschworen, dass sie sich von einem Mann niemals so unterdrücken lassen würde und innerhalb weniger Monate hatte er es geschafft sie ganz klein zu machen. Das einzige was er ihr nicht nehmen konnte war die Arbeit mit ihrem besten Freund. Die beiden leiteten gemeinsam ein junges Unternehmen, welches sich auf das Vertreiben von Sportartikeln spezialisiert hat. Sie waren zwar nur beste Freunde, doch ihre Gefühle für ihn hatten sich in den letzten Monaten nicht geändert. Sie waren wahrscheinlich nur noch stärker geworden. Während der Anfänge des Unternehmens waren sie sich näher gekommen, doch beide wollten den Erfolg ihrer Firma nicht riskieren, falls eine Beziehung zwischen den beiden nicht funktionieren sollte. Es hatte ihr das Herz gebrochen, doch gezeigt hatte sie es nie. Nur wenn sie alleine war. Dann stand sie unter dem heißen Wasser der Dusche und weinte. 

In ihrer Einsamkeit kam ihr der gutaussehende Mann der eines Tages in ihr Büro spazierte gerade recht. Anfangs war er charmant gewesen, einfühlsam und verständnisvoll. Doch als sie sich dann voll und ganz auf ihn eingelassen hatte, war sie genau dort wo er sie haben wollte. Der Charme und die Einfühlsamkeit verschwanden innerhalb eines Augenklimperns und sie war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher. Spätestens als er ihr während eines Streits das erste Mal eine Ohrfeige verpasst hatte wusste sie,  dass er sie nicht einfach so gehen lassen würde. Sie verzieh ihm, redete sich selbst ein, dass es ein Versehen war. Wenn sie jetzt so darüber nachdachte fiel ihr das erste Mal auf, wie naiv sie gewesen war. Jeder einzelne Schlag den er ihr danach verpasst hatte war volle Absicht. Egal wie sehr sie sich krümmte oder in anbettelte es nicht zu tun, hatte er einmal angefangen gab es nichts was sie tun konnte, als das Ganze irgendwie zu überstehen. Den Tag danach meldete sie sich dann meistens krank. Zu groß war ihre Angst, dass ihre fast unerträglichen Schmerzen jemandem auffallen würden. Wie sollte sie erklären, dass sie kaum laufen konnte oder dass sie nichts Schweres heben konnte, weil sie das Gefühl hatte, ihre Rippen würden in der Mitte  zerbrechen. Es gab keine Erklärung. Anfänglich waren die Krankmeldungen auch gar kein Problem gewesen, doch spätesten beim sechsten Anruf innerhalb von drei Wochen wurde ihr bester Freund langsam misstrauisch. Und als er dann an einem hektischen Morgen auch noch in die Umkleide geplatzt war und ihren blau und grün verfärbten Rücken gesehen hatte, wurde für ihn einiges klar. Sie hatte ihn zuerst gar nicht bemerkt. Erst als sich die Blicke der beiden im Spiegel getroffen hatten wusste sie, dass das Versteckspiel ein Ende hatte.

Er war vollkommen stumm aus der Umkleide gestürmt und sie hatte ihn wenig später hinter der Halle ihres Büros gefunden, wo er wie wild einen maroden Baumstamm vermöbelte. Nach einem kurzen Gespräch hatte er zwei ganze Tage kein Wort mit ihr gesprochen. Er hatte ihr keine Vorwürfe gemacht, ganz im Gegenteil er wäre am liebsten sofort los und hätte den Typen zwei Köpfe kürzer gemacht doch sie hatte ihn davon abgehalten. Sie hatte versucht ihm die Situation zu erklären, wieso sie nicht zur Polizei gehen konnte und ihn anzeigen doch er verstand es einfach nicht. Seitdem war die Situation angespannt. Er war zwar trotzdem für sie da, doch jedes Mal, wenn sich die Blicke der beiden trafen, sah sie Wut und Angst.

„Emma, warte kurz.“ Gerade als sie die Tür öffnen wollte um das Büro zu verlassen, spürte sie die Hand ihres guten Freundes auf ihrer Schulter. Sie zuckte unter dem plötzlich auftretenden Schmerz, der ihren ganzen rechten Arm einzunehmen schien, leicht zusammen. „Tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun. Können wir kurz reden?“ Fuhr er fort und blickte sie entschuldigend an. Sie musste eigentlich los, sie war sowieso schon zu spät. Eine weitere Tracht Prügel ertrug sie an diesem Abend nicht. „Ist schon in Ordnung Tom, ist ja nicht deine Schuld, dass mir alles weh tut. Können wir vielleicht morgen reden? Ich will nicht das er wieder wütend wird.“ Murmelte sie und blickte mit ihren braunen Rehaugen zu ihm auf. „Soll ich dich fahren? Dann rede ich mal ein paar Worte mit ihm.“ Erwiderte er und ballte die Fäuste. „Danke, aber ich komm schon alleine klar. Wir reden morgen früh, versprochen.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus der Tür und raste wenig später mit ihrem Wagen davon. Er blieb ratlos zurück.

Am nächsten Morgen hatte sie es gerade so geschafft sich aufzuraffen und sich irgendwelche Klamotten überzuwerfen. Autofahren konnte sie nicht, dazu schmerzten ihre Beine zu sehr. Als ein Taxi sie wenig später vor dem Büro raus ließ wurde ihr für einen kurzen Augenblick schwindelig. Hätte Tom aus ein paar Metern Entfernung nicht sofort gesehen, dass etwas nicht stimmte, wäre sie wahrscheinlich einfach so zusammen gesackt. Doch er war rechtzeitig da um sie zu stützen und half ihr hinein. Sie bedankte sich leise und ließ sich auf den erst besten Stuhl fallen. „Hey, bist du okay?“ Fragte er besorgt und reichte ihr ein Glas Wasser. Sie nahm es stumm und trank vier oder fünf kleine Schlucke. „Mir war nur kurz schwindelig. Aber es geht schon wieder.“ Antwortete sie ruhig, doch sie konnte Tom ansehen das er ihr kein Wort glaubte. Wie denn auch, sie glaubte ihrer Stimme ja selbst nicht. „Was hat er gemacht?“ Platze es aus ihm heraus und sie konnte in seinen Augen den puren Hass funkeln sehen. Sie konnte das nicht hier so öffentlich besprechen. Gäste liefen auf und ab, Trainer gaben Anweisungen. Das konnte sie einfach nicht. „Können wir vielleicht in den Umkleiden reden?“, Bat sie den jungen Mann, der sie immer noch voller Sorge beobachtete. Er nickte und half ihr auf.

Ihr fiel es schwer auch nur ein Wort über die letzte Nacht zu verlieren. Bis jetzt hatte sie immer alles in sich hineingefressen und niemanden daran teilhaben lassen. Niemand wusste von der ganzen Sache, außer Tom. Sie war sich sicher er würde es für immer für sich behalten, wenn sie ihn darum bat. Doch sie wusste nicht, wie lange sie diesen Terror noch aushalten würde ohne daran zu zerbrechen. „Ich war zu spät, gestern Abend. Vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten.“ Begann sie mit leiser Stimme zu erzählen. „ Es war so ruhig, zu ruhig. Und als ich ein paar Schritte gemacht hatte, konnte ich seinen heißen Atem bereits in meinem Nacken spüren.“ Ihr lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. „Er hat mich gegen die Wand gedrückt und mir den Hals zugehalten.“ Sie zog langsam an dem rosafarbenen Schal, den sie sich am Morgen mit aller Kraft um den Hals gewickelt hatte, damit man die blauen Abdrücke nicht sah. „Er hat einfach so zugedrückt, bestimmt zwei Minuten lang. Ich hatte solche Angst, dass er mich umbringt. Danach bin ich zu Boden. Er hat herumgeschrien, dass ich aufstehen soll. Doch es ging nicht, ich hatte keine Kraft. Wenig später hat er dann angefangen mich zu treten, ich glaube zwei Rippen sind angebrochen. Zumindest fühlt es sich beim Atmen so an.“ Sie fing langsam an ihre Bluse aufzuknöpfen, Tom wollte sie davon abhalten. Er wollte es ihr nicht noch schwerer machen, als wie es sowieso schon war. Doch sie war entschlossen. Ihre Worte konnten den Schmerz den sie empfand kaum ausdrücken.

Wenig später hatte sie es geschafft alle Knöpfe aus ihren Löchern zu ziehen und streifte sich eine Seite von der Schulter. Als sie zu Tom aufblickte schien er sprachlos. Nie zuvor im Leben hatte er solch ein Bild vor sich gesehen, niemals gedacht, dass er so etwas jemals sehen würde. Er machte einen stummen Schritt auf sie zu und zog sie in seine Arme. „Es tut mir so leid, so unfassbar leid.“  Murmelte er leise und merkte, wie sie leise anfing zu weinen. Sie war innerlich und äußerlich so zerbrochen, wie sollte sie jemals wieder jemandem vertrauen können. „Ich weiß wir haben darüber schon mehrmals gesprochen und ich weiß du willst es nicht, aber deine Rippen sehen wirklich nicht gut aus. Bitte lass mich dich zum Arzt fahren, nur um sicher zu gehen, dass du keine inneren Verletzungen hast.“ Er wischte ihr ein paar Tränen von den Wangen und begann ihre Bluse wieder zuzuknöpfen. Sie sagte einige Zeit nichts, bis sie langsam anfing den Kopf zu schütteln. „Ich kann das nicht, die merken doch sofort was los ist. Und dann rufen sie die Polizei. Ich kann es nicht riskieren. Er hat mir gedroht, dass er mich umbringt, wenn ich irgendetwas sage. Selbst wenn er ein paar Jahre hinter Gitter muss, er findet mich und er findet dich.“ Er verstand, dass sie Angst hatte. Dieser Typ war zu allem fähig, doch so konnte es doch nicht weiter gehen? Er konnte nicht länger mit ansehen, wie sie sich jeden Tag quälte, jeden Tag Angst hatte nach Hause zu gehen, mit der Furcht, dass er sie eines Tages vielleicht nie wieder sehen würde, weil es zu spät war.  „Liebst du ihn? Ist es das?“ Der Gedanke machte ihn so verdammt wütend. Doch sie schüttelte wie wild den Kopf. „Ich habe ihn noch nie geliebt, noch nie. Ich liebe dich.“ Jetzt war es raus und sie verspürte in diesem Augenblick eine unbeschreibliche, vielleicht auch unerklärliche Erleichterung.

Tom wurde plötzlich kreidebleich. Sie schaute ihn besorgt an und machte sich darauf gefasst, dass er nichts mehr für sie empfand. „Was ist los?“ Fragte sie vorsichtig und versuchte ein paar erklärende Worte aus ihm heraus zu bekommen. „Verstehst du nicht? Es ist alles meine Schuld. Wenn ich vor ein paar Monaten meine Angst vor einer Beziehung einfach überwunden hätte, dann hättest du den Typen nie kennengelernt. Dann wäre das alles nicht passiert. Es tut mir so unfassbar leid.“ Sie verstand jedes Wort aber doch nichts. Sie konnte nicht glauben, dass er sich im Ernst für diese ganze Situation verantwortlich machte. Sie hatte sich auf ihn eingelassen, sie war zu feige ihn Anzuzeigen. „Tom sieh mich an. Nichts, von dem was passiert ist, ist deine Schuld. Einer Beziehung keine Chance zu geben, war die Entscheidung von uns beiden. Du kannst ja nichts dafür, dass ich immer noch Gefühle für dich habe.“ Er machte einen Schritt auf sie zu und umfasste ihr Gesicht vorsichtig mit seinen Händen. „Meine Gefühle für dich sind mindestens genauso stark, wie deine für mich. Wenn du zur Polizei gehst, bist du endlich frei und wir können neu anfangen. Ich passe auf uns auf, ich verspreche es dir.“ Seine Worte hallten in ihrem Ohr nach und wie aussichtslos die Situation auch zu sein schien, sie konnte sich ein sanftes Lächeln nicht verkneifen. „Aber was ist mit dem Geschäft? Was passiert, wenn es zwischen uns nicht funktioniert? Ich kann dann nicht einfach so weitermachen, wie als wäre nichts passiert.“ Erwiderte sie und fuhr sich mit ihrer Hand durch die Schulterlangen braunen Haare. „Wir schaffen das, gemeinsam.“ Sprach er ihr aufmunternd zu und zog sie in eine erneute Umarmung. Sie fühlte sich so zerbrechlich in seinen Armen an, dass er Angst hatte ihr ernsthaft weh zu tun. „Ich habe Angst.“ Murmelte sie leise, als sie ihren Kopf gegen seine Schulter sinken ließ. „Die habe ich auch. Aber ich verspreche dir, dass ich in Zukunft alles dafür tun werde, dass er dich nie wieder anfasst.“