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Kurzgeschichte (16) - Immer dieser Valentinstag

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 14. Februar 2017

Verdammt, wie sie diesen Tag hasste. Ihr kam es so vor, als lief sie absichtlich Unmengen von verliebten Paaren und prall gefüllten Blumenläden über den Weg, die alle knallrote Aufschriften wie „Verliebt, Verlobt…Valentinstag“ auf den Schaufensterscheiben kleben hatten. Am liebsten wäre sie in jeden Laden geeilt und hätte die Klebestreifen eigenhändig von der Scheibe entfernt. So wäre sie wenigstens ein bisschen von ihrer Unzufriedenheit losgeworden. Jetzt lief sie stattdessen wie eine wild gewordene Hyäne durch die Straßen der Stadt und versuchte weder links noch rechts zu schauen. Und genau diese Unachtsamkeit wurde ihr plötzlich zum Verhängnis. Als sie quer über die auf den ersten Blick ruhige Straße lief, wäre sie fast von einem heranfahrenden Taxi überrollt worden, der Fahrer hatte es jedoch geschafft noch rechtzeitig auszuweichen und stand nun ein wenig schief auf dem zweispurigen Asphalt. In ihrer plötzlich aufkommenden Wut auf den Fahrer des Wagens aber auch sich selbst schlug sie mit flachen Händen mehrmals auf die Motorhaube des Autos und funkelte böse vor sich hin. „Verdammt nochmal, passen sie doch auf.“ Platzte es auch ihr heraus und sie schlug ein weiteres Mal zu. Plötzlich öffnete sich eine der hinteren Türen und ein Mann mit schwarzem Anzug stieg aus. „Können wir sie vielleicht irgendwo hin mitnehmen, so als Wiedergutmachung? Wenn nicht würde ich sie bitten die Straße frei zu machen, ich hab’s eilig.“ Sie starrte den Anzugträger mit aufgerissenen Augen und hätte am liebsten wieder sofort drauf losgestampft. Da ihr die Taxifahrt jedoch ganz gelegen kam besonnte sie sich für einen Moment auf ihre innere Mitte, wie sie es damals im Joga Kurs gelernt hatte und fand sich wenig später auf dem Rücksitz des Taxis wieder.

„Scheiß Tag?“ Kam es plötzlich von links und sie blickte ein wenig irritiert hinüber. „Wieso? Ist das so offensichtlich?“ Erwiderte sie ein wenig kratzbürstig und wendete ihren Blick ab. „Ich dachte nur, als sie so mit ihren Handflächen an der Motorhaube herumhantiert haben, dachte ich für einen Moment wirklich, es käme zu Blechschäden.“ Sie verdrehte mehr als auffällig die Augen und warf ihm einen entsprechenden Blick zu. „Wissen sie, als ich so auf die Straße gelaufen bin, habe ich mir gedacht heute ist ein guter Tag zum Sterben.“ Bei ihrer Art fiel es ihm schwer sich ein Lachen zu verkneifen. „Da sind wir ja schon zu zweit. Ich hasse Valentinstag mindestens genauso wie sie.“ Sie musterte den Mann für einen Augenblick. „Wie kommen sie darauf, dass ich Valentinstag hasse?“ Platze es aus ihr heraus und anstatt sich erneut wegzudrehen hielt sie seinem wissenden Blick diesmal stand. „Sie sind schlecht gelaunt, schnell Reizbar und sind alleine unterwegs. Da liegt es nahe, dass Valentinstag nicht unbedingt zu ihren Lieblingstagen gehört.“ Erwiderte er mit einer einschüchternden Selbstverständlichkeit, die sie für einen Moment überrumpelte. „Ach ja und sie sind Psychologe oder was?“ Reagierte sie patzig, denn er hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen und das hatte ihr noch nie gefallen. Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie an Valentinstag das letzte Mal gut gelaunt war. Seit sie ihren Ex-Freund vor Jahren an Valentinstag mit einer anderen erwischt hatte, scheute sie diesen Tag mehr als alles andere. Danach war es auch nie wieder zu einer richtigen Beziehung gekommen. Er hatte ihr Vertrauen so gestört, dass es ihr so verdammt schwer fiel sich jemandem wirklich anzuvertrauen. Natürlich hatte sie immer mal wieder jemanden kennengelernt, diese Beziehungen, wenn man sie denn als solche überhaupt bezeichnen konnte, hielten meist ein paar Monate und zerliefen dann im Sand. „Ich wollte ihnen nicht zu nahetreten, das tut mir leid! Kann ich es irgendwie wieder gut machen? Mit einem Kaffee vielleicht?“ Hatte dieser gut aussehende Mann sich gerade wirklich bei ihr entschuldigt, nur weil er die Wahrheit gesagt hat? Er hatte ja absolut Recht. Trotzdem gelang es ihr irgendwie nicht richtig plötzlich nett zu ihm zu sein. Sie verbrachte die ganzen letzten Jahre gefühlt 20 Stunden des Tages in einer Schutzhaltung, die sie sich selber angeeignet hatte. Zu fast jedem war sie kratzbürstig und ließ sie alle spüren, wenn sie überlegen war. Nichts so zu sein, sanft zu sein fiel ihr schwer und bedurfte so einiges an Überwindung. „Ich dachte sie haben es eilig?“ Ihre Augenbrauen wanderten nach oben, das war ja zumindest schon mal ein Anfang. „Wissen sie, ich hätte nie gedacht, dass sie tatsächlich zu mir ins Taxi steigen. Da schien das mit dem eilig haben eine gute Alternative. Doch jetzt bin ich eigentlich recht froh, dass sie sich davon nicht haben abschrecken lassen und jetzt hier neben mir sitzen. Die Einladung zum Café steht also.“ Sie wollte irgendetwas Trotziges erwidern,  doch ihr Mund öffnete sich nur und schloss sich dann wieder, wie ein stummer Karpfen. Das passierte ihr sonst nie. „Okay, Kaffee!“

Wenig später saßen sie in einem leer gekehrten Café und unterhielten sich. „Wo die wohl alle sind?“ Merkte er an, als er seinen Blick ein weiteres Mal durch das kaum besuchte Café schweifen ließ, welches sonst oft aus allen Nähten platzte. „Was erwarten sie? Es ist Valentinstag, die haben alle etwas Besseres zu tun, als Kaffee zu trinken.“  Erwiderte sie schroffer als gedacht, sie schämte sich fast ein wenig. Er war so freundlich zu ihr, hatte für’s Taxi und den Kaffee bezahlt und gute Manieren hatte er auch noch und trotzdem war sie so fies zu ihm. „Danke übrigens, dass sie für das Taxi und den vollkommen überteuerten Kaffee gezahlt haben.“ Schob sie ein wenig kleinlaut hinterher und lächelte ihm sanft zu. „Das ist doch selbstverständlich.“ Plötzlich fing sein Handy an zu Klingel, das er bereits von Anfang an neben sich auf den Tisch gelegt hatte. Seine Augen leuchteten auf, als er den Namen auf dem Display erblickte, Valentina. Fast wären ihre Gesichtszüge ihr komplett entglitten. Mistkerl.

„Ich hab dich auch lieb, mein Schatz.“ Hörte sie ihn im Hintergrund sagen und dann war das Gespräch auch schon beendet. Sie funkelte ihn mit großen Augen an, wäre ihm liebsten sofort den Hals gesprungen und hätte ihm irgendetwas Gemeines an den Kopf geworfen. „Machen sie das öfter?“ Fragte sie stattdessen still und trank ihren restlichen Kaffee in einem Zug leer. „Was genau?“ Erwiderte er ein wenig ratlos und schaute sie mit großen Augen an. „Sich mit anderen Frauen treffen, obwohl sie eine Freundin haben und dann auch noch die Anrufe von ihr beantworten, obwohl eine andere Frau direkt neben ihnen sitzt, ekelhaft.“ Seine Augen weiteten sich noch mehr, jaja auf frischer Tat ertappt, dachte sie zumindest. Stattdessen verzogen sich seine Lippen in ein breites Grinsen. „Finden sie das auch noch lustig? Ich gehe, das hier muss ich mir echt nicht antun.“ Sie wollte sich bereits ihre Tasche über die Schulter werfen, als er sie sanft aber bestimmt am Handgelenk zurückhielt, sodass sie zurück auf ihren Stuhl plumpste.

„Wenn sie das mit dem Telefonat gestört hat, tut mir das leid. Aber die regelmäßigen Gespräche mit meiner Tochter sind mir wirklich wichtig. Schließlich sehe ich sie nur so selten.“ Sie stutzte für einen Moment und ließ sich den Satz noch ein weiteres Mal durch den Kopf gehen. „Tochter?“, Murmelte sie überrascht und sah, wie er nickte. „Valentina ist meine vier Jahre alte Tochter. Sie lebt bei ihrer Mutter und mit ihr habe ich nicht unbedingt das beste Verhältnis, deshalb bekomme ich Valentina so selten zu Gesicht.“ Erwiderte er und sie bemerkte augenblicklich, wie sehr es ihn belastete, dass er seiner Tochter so selten nah sein konnte. Sie war selber bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, diese hatte ihr den Vater auch immer vorenthalten und erst als sie älter war, wurde ihr wirklich klar, wie sehr sie sich seine Nähe gewünscht hätte. „Das gerade tut mir total leid, ich bin immer so aufbrausend und voreilig.“ Er tippte ein wenig auf seinem Handy herum und für einen kurzen Augenblick, dachte sie darüber nach aufzustehen und zu gehen. Sie hatte es mit ihrer Art mal wieder versaut. Doch wenig später blickte er auf und blinzelte ihr sanft entgegen. „Möchten sie ein Bild sehen?“ Fragte er ruhig und sie nickte. Er hielt ihr das Handy unter die Nase und sie verfiel augenblicklich in ein Lächeln. Das kleine Mädchen mit dem dunklen Zopf und der kleinen Stupsnase grinste breit in die Kamera und sie wurde augenblicklich an sich selbst erinnert. „Sie ist wahnsinnig süß.“ Grinste sie ihm entgegen und schaute zu, wie er ihr weitere Fotos zeigte. „Kämpfen sie um sie. Ich weiß wie es sich anfühlt, ohne Vater aufzuwachsen, sie liebt sie und vermisst ihren Vater.“ Brach es plötzlich aus ihr heraus. Für einen Moment war es still. Die beiden blickten sich stumm an, während er nach ihrer Hand griff und sie sanft drückte. „Danke!“

Valentinstag würde wahrscheinlich nie zu einem ihrer Lieblingstage, doch wenn man ihn mit dem richtigen Menschen verbrachte, war er vielleicht nur noch halb so schlimm.