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Kurzgeschichte (14) - Emily und Ben

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 30. Januar 2017

Ein kleiner Disclaimer, unsere allererste Kurzgeschichte bekommt eine Fortsetzung! Den ersten Teil der Geschichte findet ihr hier.

Sie war immer noch ziemlich überrascht, dass er sie wirklich auf diesen Herbstball eingeladen hatte. Sie konnte sich schon denken, was dort auf sie warten würde. Viele Reiche Männer, die sich auf sie schmeißen würden, wie ein Löwe auf ein rohes Stück Fleisch. Nicht, weil sie von ihnen als besonders attraktiv empfunden wurde, einzig alleine aus dem Grund, dass sie zuvor noch nie auf solch einem Event gesichtet wurde und jeder unbedingt der erste sein wollte der sich über das Frischfleisch hermachen konnte. Doch zum Glück hatte sie ja  Ben an ihrer Seit, von dem sie verlangen würde, sich schützend vor sie zu schmeißen.

Nach dem Gespräch im Aufzug hatte sie sich das Kleid aus ihrem Spinnt geschnappt, das Ben für sie besorgt hatte und war nach Hause geflüchtet. Nach gefühlt fünf Jahren nicht existierendem Privatleben hatte sie das Gefühl, sie musste ihren Körper erst einmal von jedem kleinsten Härchen befreien, um sich selbst überhaupt die Erlaubnis zu geben in das schwarze Seidenkleid zu schlüpfen, das sie in einem Kleidersack liebevoll auf ihr Bett gelegt hatte. Zum Glück hatte sie bereits im recht jungen Alter gemeinsam mit ihrer Schwester gelernt, wie man sich einigermaßen schminkte und die Haare ein wenig wellte, sodass das Styling ihre kleinste Sorge war.

Als sie dann irgendwann frisch geduscht, geföhnt und geschminkt vor dem Spiegel stand und sie ihre Hand vorsichtig über den leicht schimmernden Stoff des Kleides gleiten ließ, grinste sie sich selbst breit entgegen. So toll hatte sie schon lange nicht mehr ausgesehen. Sie wusste, dass sie auch im Alltag viel mehr aus sich machen könnten, doch leider war ihr der Schlaf häufig wichtiger als der perfekte Augenaufschlag. Als es wenig später dann an der Tür klingelte, atmete sie ein oder zweimal tief ein uns aus und legte sich ihren Mantel um die Schultern. Als sie vorsichtig die Tür öffnete, blieb ihr fast die Spucke weg, doch sie versuchte sich so gut es ging nichts anmerken zu lassen. Eigentlich müsste es verboten sein so verdammt gut auszusehen. Ben trug einen schwarzen, enganliegenden Anzug mit einem weißen Hemd darunter und das Grinsen in seinem Gesicht strahlten ihr entgegen, sodass sie selbst nicht anders konnte, als es ihm gleichzutun. „Du siehst umwerfend aus.“ Anstatt selbstbewusst zu antworten, spürte sie stattdessen, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Danke, du siehst auch nicht schlecht aus.“ Murmelte sie, obwohl das natürlich um Welten untertrieben war. Sie hätte sich sofort auf ihn geschmissen, wäre er nicht der Sohn vom Chef. „Wollen wir los? Der Wagen steht unten.“ Sie nickte und ließ sich an seinem Arm langsam die Treppe herunter geleiten. Gentleman konnte er.

Die Fahrt durch die Stadt war ruhig, sie blickte ab und zu ein wenig verträumt aus dem Fenster und konnte immer noch nicht so ganz fassen, dass sie sich wirklich hierzu überreden lassen hatte. Spätestens als sie vor dem monströsen Schlossartigen Haus hielten und sie die Gruppen von Fotografen erblickte, wäre sie am liebsten sofort wieder umgekehrt. Doch Ben hatte sanft ihre Hand genommen und sie aus dem Auto manövriert, sodass sie wenig später vor lauter Blitzlichtgewitter kaum noch etwas sehen konnte. „Okay, das reicht.“ Mit diesen Worten nahm er erneut ihre Hand und sie schritten gemeinsam die riesige Treppe nach oben, die direkt in den schönsten Ballsaal führte, den sie je gesehen hatte. Nicht, dass sie schon viele solcher Säle gesehen hatte, doch sie empfand schon immer ein außerordentliches Gefallen an alten Gebäuden, die genauso aussahen wie dieses hier. Als sie jünger war, hatte sie sogar öfters davon geträumt irgendwann mal ein solch beeindruckendes Kunstwerk ihr Eigen zu nennen. Doch von diesem Gedanken, hatte sich bereits verabschiedet, denn die Wahrscheinlichkeit war gleich null. „Gefällt es dir?“ Sie schreckte aus ihrer Trance zurück in die Wirklichkeit, in der Ben immer noch ihre Hand festhielt und sie schmunzelnd Musterte. „Sehr. Es ist wunderschön!“ Erwiderte sie und lächelte ihm sanft entgegen. Als er sie die Treppe hinuntergeführt hatte passierte genau das, was sie bereits vorhergesehen hatte. Zwei oder drei Männer im schwarzen Anzug kamen zügigen Schrittes auf die Beiden zu. „Guten Abend Ben. Wie geht’s?“ Sagte der eine und klopfte ihm fest auf die Schulter. „Und du bist?“ Der größte der dreien griff ein wenig unsanft nach ihrer Hand und presste seine Lippen für einen kurzen Moment, zu lange für ihren Geschmack, gegen ihren Handrücken. „Emily.“ Antwortete sie knapp und blickte hilfesuchend zu Ben auf. „War schön euch zu sehen Jungs! Wir machen uns jetzt mal auf die Suche nach unserem Sitzplatz. Das wird ja sicher eine Weile dauern bei der Menge von Tischen.“ Sie verabschiedete sich rasch aber höflich und begab sich gemeinsam mit Ben auf die Suche.

Die Suche nach dem richtigen Sitzplatz hatte kaum Zeit in Anspruch genommen. Die Mitarbeiter waren anscheinend alle bestens Informiert und ließen es sich nicht nehmen die wichtige Prominenz zu den Tischen zu geleiten und anscheinend zählte Bens Familie darunter. Als sie dann jedoch am Tisch angekommen waren, wäre ihr das Herz fast in die Hose oder eben ins Kleid gerutscht. Eine grazile ältere Frau unterhielt sich lebendig mit einem älteren Mann, den sie nur zu gut kannte, ihr Chef, der die ältere Dame liebevoll anblickte. Sie war dünn und zierlich und erinnerte sie an eine französische Balletttänzerin. Der Dutt auf ihrem Kopf war streng, doch ihre Gesichtszüge weich und als sie Ben erblickte erhob sie sich freudig und schloss ihn in die Arme. „Mutter, darf ich dir Emily Mayer vorstellen?“ Sie wendete ihren Blick von ihrem Sohn und lächelte ihr mindestens genauso freundlich entgegen. „Freut mich sie kenne zu lernen Emily. Sie sehen umwerfend aus.“ Das Herz schlug ihr bis zum Hals, wieso war sie bloß so nervös. Vielleicht, weil die Mütter ihrer Ex-Freunde sie alle hassten? Moment. Sie war lediglich Bens Begleitung. Vor ein paar Wochen wollte sie ihm am liebsten noch den Hals umdrehen. „Die Freude ist ganz meinerseits. Danke, dass ich Teil dieser inspirierenden Veranstaltung sein darf.“ Bevor sie noch irgendetwas hinzufügen konnte, hatte sie bereits in die Arme geschlossen und ihr ein wenig den Rücken getätschelt.

Wenig später saß sie zwischen Ben und Sybille, seiner Mutter, und folgte gespannt dem Geschehen auf der Bühne. Sybille hatte tatsächlich lange Zeit Ballett getanzt, bis sie irgendwann aufgrund einer Verletzung aufhören musste. „Gefällt es dir?“ Sie spürte seinen Atem hinter ihrem Ohr und drehte sich ruckartig zu ihm um. Sein Blick sagte ihr, dass er ihre Unsicherheit längst bemerkt hatte. „Es gefällt mir sehr gut. Ich bin froh das ich mitgekommen bin.“  Sie grinste ein wenig und wendete ihren Blick wider von ihm ab. „Was hältst du eigentlich von dem Kleid, das ich dir ausgesucht habe?“ Sie schaute zum gefühlt zehnten Mal an diesem Abend an dem schwarzen Kleid hinunter und presste für einen kurzen Moment die Lippen aufeinander. Eine Angewohnheit, die sie sich bereits seit Jahren versuchte abzugewöhnen. Doch es gelang ihr nicht. „Dir gefällt es nicht. Ich hätte mich auch noch um ein anderes kümmern können.“ Sie schüttelte augenblicklich den Kopf. „Das Kleid ist wunderschön Ben.“ Er blickte sie immer noch ein wenig skeptisch an, glaubte ihr aber.

Sie spürte ein penetrantes Tippen auf ihrer Schulter und musste sich selbst davon abhalten die Augen zu verdrehen, als hinter ihr der schmalzige Hände-Küsser stand. Sie zwang ihre Mundwinkel förmlich sich rechts und links ein wenig zu heben, sodass sie wahrscheinlich aussah, als hätte sie irgendeinen Anfall. Doch anstatt sich davon abschrecken zu lassen streckte er selbstverständlich seine Hand nach ihr aus. „Willst du Tanzen?“ Sie hätte ihm sein Grinsen am liebsten aus dem Gesicht gewischt, doch sie wollte Ben nicht blamieren, also blickte sie entschuldigend zu ihm auf. Doch bevor sie sich erheben konnte, hielt er sich bestimmt an der Schulter zurück. „Du musst nicht mit ihm tanzen, wenn du nicht willst. Ich kann ihn sowieso nicht leiden.“ Sie war für einen kurzen Moment überfordert. Links von ihr hatte Ben seine Hand immer noch auf ihrer Schulter. Rechts dagegen stand der Schleimbolzen, der sie erwartungsvoll anblickte. Wieso war sie nur so schlecht darin nein zu sagen? „Du kannst ja stattdessen mit mir tanzen.“ Merkte sie Augenzwinkernd an und versuchte sich irgendwie ihren Weg aus dieser Situation herauszuwurschteln und Ben schien das Memo ziemlich schnell zu begreifen. „Tut mir leid Noah, aber ich Emily hat mir den ersten Tanz versprochen. Wir wollten gerade die Tanzfläche erobern.“ Der junge Mann schaute nicht schlecht, als Ben schließlich nach ihrer Hand griff und die beiden an ihm vorbeistolzierten. „Vielleicht später.“ Warf sie ihm im Vorbeigehen noch zu, hoffte aber insgeheim, dass es nie dazu kam.

Und wenn sie eins wenig später war, dann froh, dass sie mit Ben über die Tanzfläche glitt. Denn der Mann sah nicht nur gut aus, sondern konnte sich auch noch von A bis Z bewegen. Vollkommen mühelos wirbelte er sie umher,  von der einen in die anderen Ecke und wieder zurück. Immer wieder lachte sie auf, sah das Funkeln in seinen Augen. Ihre Nervosität schien wie verflogen, stattdessen hatte sie sich sogar dazu durchgerungen ihre Arme locker um seinen Nacken zu legen, sodass sie sich plötzlich Näher waren, als wie sie es im ersten Moment erwartet hätte. „Kann ich dich etwas fragen?“ Sie nickte bejahend und grinste. „Darf ich dich nächstes Wochenende zum Essen einladen?“ Für einen kurzen Augenblick war sie ein wenig perplex und die zuvor verflogene Nervosität erreichte innerhalb kürzester Zeit ihren Höhepunkt. „Sehr gerne!“ Antwortete sie knapp und lächelte ihm sanft zu. Er tat es ihr gleich, während die beiden zu „Can’t help falling in love with you“ von Elvis weiter über die Tanzfläche schwoften.