Buch  - (c) Rainer Sturm / pixelio.de / Buch / http://www.pixelio.de/media/620742 © Rainer Sturm / pixelio.de / Buch / http://www.pixelio.de/media/620742

Kurzgeschichte (2) - Ein Jahr und einen Herbst

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 7. November 2016

Ein lauter Knall und dann fiel sie zu Boden. Er hatte einfach so abgedrückt. Auf sie gezielt, unbedacht und unüberlegt. Die Beziehung der beiden war von Anfang an toxisch gewesen. Er hatte ihr nicht gut getan, jeder um sie herum wusste es, nur sie selber wollte es einfach nicht wahrhaben. Und jetzt war es zu spät. Sie lag leblos da, der Blätter bedeckte Boden unter ihr schien grau, wie als hätte man ihm die Farbe ausgesogen. Der junge Mann schien versteinert, nicht sicher was er als nächstes tun sollte. Er schaute sie ein letztes Mal an, die brünette Frau die er so sehr versucht hat zu lieben, doch er war nicht fähig. Er hatte sie gequält, ihr die Freude am Leben genommen und trotzdem war sie bei ihm geblieben. Einfach so. Ein letzter Blick und er verschwand. Sie ließ er zurück.



Die Bar in der sie saß war dunkel und staubig, doch es war Sonntag und somit die einzige Möglichkeit in dem kleinen Städtchen etwas Ordentliches zu trinken zu bekommen. Sie saß alleine an der hölzernen Bar und starrte ins Leere. Sie war einsam. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der alten Kneipe und das helle Licht von draußen blendete sie kurz. Es war kalt draußen, nass und ungemütlich. Herbst eben. Als sich ihre Augen an den kurzen Lichtunterschied gewöhnt hatten blickte sie auf und sah einen jungen Mann der sie regelrecht anstarrte. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich komisch, irgendwie beobachtet doch spätestens als er sich neben ihr an der Bar niedergelassen hatte und die beiden ins Gespräch kamen war das komische Gefühl verschwunden. Jetzt wünschte sie sich das es niemals verschwunden wäre. Sie gewarnt hätte.

 

Der jungen Frau blieb kurz die Luft im Hals stecken als er sie gegen die Wand drückte und sie durch wutverzerrte Augen anfunkelte. Acht  Wochen war ihr erstes Treffen her und er hatte es geschafft in solch kurzer Zeit kompletten Besitz über ihr Leben zu ergreifen. Er war Anfang, Mittelpunkt und Ende und sie schaffte es nicht sich aus seinen Fängen zu befreien. Ein blauer Fleck da, ein Kratzer dort. Alle machten sich Sorgen, doch sie wollte nichts hören. Sie konnte ihn nicht alleine lassen, sie war doch so unfassbar einsam. Sie brauchte ihn. Er hatte es ihr so oft gesagt, geflüstert, dass sie es selber geglaubt hatte. „Ich lasse dich nie wieder gehen, nie wieder!“


Sie strahlte die bunten Blumen auf dem großen Küchentisch an und fuhr ihm durch sein dunkles Haar. Ein sanfter Kuss. „Ich liebe dich.“ Eine glückliche Erinnerung die sich in ihrem Gehirn eingebrannt hatte. Sie war davon überzeugt, dass er es versucht hatte, doch er war nicht stark genug. Nicht fähig sie zu lieben. Anfänglich hatte sie sich selber immer die Schuld gegeben, doch irgendwann hatte ihr Verstand die Wahrheit erkannt, auch wenn ihr Herz wie wild dagegen gearbeitete hatte.

 

Das Befreien gelang ihr nicht. Er war überall. Morgens, Mittags, Abends. Sie hatte versucht zu gehen, doch sie hatte es nicht geschafft. Gefangen in einer Welt aus Liebe und Hass. Er hatte sie mehrfach zurückgeholt, ihr versprochen er würde sich ändern, das konnte er nicht. Wie konnte er sie lieben, wenn er nicht mal sich selber lieben konnte? Der letzte Streit endete still. Zu still. Die Hand um ihren Nacken hatte an Kraft verloren, sodass sie wenig später zu Boden gesackt war. Als es dunkel draußen wurde hatte er sie erneut gepackt und vor die Tür gezerrt wo er sie ins Auto verfrachtet hatte. Sie bekam kaum noch etwas mit. Die Welt zog an ihr vorbei, Straßenlaternen erhellten sekundenweise das dunkle Auto. Irgendwann kamen sie zum Stehen. Sie hörte Türen knallen, dann stille. Sie schreckte zusammen als er sie erneut zu fassen bekam und herauszerrte. In seiner Gegenwart hatte sie schon mehrfach wahnsinnige Angst gehabt, doch zum allerersten Mal hatte sie Angst um ihr eigenes Leben. Er war zu ruhig, viel zu ruhig. Er hatte seit Stunden nicht ein Wort gesagt. Er platzierte sie vor sich, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Sie zitterte vor Kälte und Furcht. Es war Anfang November, nicht mal fünf Grad. Sie traute sich kaum ihn anzuschauen, sie wollte ihn nicht noch wütender machen. Er kramte etwas aus seiner Jackentasche heraus, schwarz und klein, doch als sie den Gegenstand erkannte wusste sie, dass die Größe keinen Unterschied machen würde. Die Kugel würde ihren zierlichen Körper mit einem Mal durchdringen und ihr das letzte bisschen Leben das sie noch hatte auch noch aushauchen. Rennen brachte nichts, er würde sie kriegen. Er bekam immer das was er wollte. Er hob seinen Arm und richtete die Waffe auf die Mitte ihres Körpers. „Bitte…erschieß mich nicht. Du kannst machen was du willst, aber bitte nimm mir nicht auch noch meinen Atem.“ Flehte sie ihn unter Tränen an, die sie versuchte so schnell  es ging weg zu wischen. Er sagte immer noch nichts. Kein Wort, nur ein leerer Blick. Wenn er wenigstens mit ihr sprechen würde, vielleicht könnte sie ihn dann noch umstimmen. Doch er schien seine Entscheidung bereits getroffen zu haben, einfach so, ohne sie. Er machte einen Schritt auf sie zu, die Waffe auf sie gerichtet. Er blickte ihr ein letztes Mal in die Augen, wo immer noch leere herrschte, schon die ganze Zeit leere geherrscht hatte, sie es vorher nur nie bemerkte hatte. Ein lauter Knall und ihr ausgesaugter Körper sackte wenige Augenblicke später in sich zusammen. Ein piepender Ton durchstach ihren Gehörgang. Sie konnte sich nicht bewegen. Die Nässe des Bodens durchdrang in kürzester Zeit ihr Oberteil. Herbst war nicht immer bunte Blätter, Kastanien und goldene Sonnenstrahlen. Herbst war oft kalt und nass und einsam. Sie waren zusammen einsam gewesen, zusammen und trotzdem so alleine. Ein Jahr und einen Herbst.


Es war warm, sie fühlte sich geborgen. Spürte sich so sterben an? Um sie herum war zwar nichts als Dunkelheit, doch das nahm sie in Kauf. Sie erschrak als etwas sanft ihre Hand berührte. Im Hintergrund vernahm sie Gemurmel, die Worte blieben jedoch unverständlich. Sie versuchte sich der Dunkelheit zu entziehen, doch das gelang ihr nicht. Jemand hatte ihre Hand gegriffen und hielt sie ganz fest. Ihr Körper fühlte sich schwer und unbeweglich an. Das Gemurmel um sie herum wurde lauter, deutlicher. Sie wollte nichts sehnlicher als zu verstehen. Worte verstehen, die Situation in der sie sich befand. Sie war sich sicher, im Himmel befand sie sich nicht. Oder ihre Großmutter hatte sie ihr Leben lang angelogen. "Du brauchst keine Angst vor dem Sterben zu haben." Hatte sie immer gesagt. "Wenn es passiert, dann wird es ganz schnell gehen und es wird dir gut gehen."
Es ging ihr nicht schlecht, Schmerzen hatte sie auch keine. Nur diese Gottverdammte Dunkelheit raubte ihr allmählich den Verstand. Sie spürte neben sich einen weiteren Körper, die Matratze sank ein. Ein Handrücken wärmte ihre Wange. Dann ging alles ganz schnell. Ihre Lider wurden leichter, ihr Herzschlag erwachte aus seiner trägen Figur. Sie spürte wie das Leben, das ihr so lange gefehlt hatte,  zurück in ihren Körper floss. Ein Auge öffnete sich, dann das andere. Das allgemeine Gemurmel stoppte abrupt und sie merkte wie ihr die Tränen in die Augen schossen als sie das Gesicht ihrer Mutter erblickte. Sie war nicht tot, sie hatte überlebt. Alles überlebt. Und ihre Mutter war da um sie in die Arme zu schließen, um ihr frisches Leben einzuhauchen. Noch nie zu vor hatte sie die Nähe ihrer Mutter so gebraucht wie jetzt. Die Kugel hatte zwar ihren Körper durchdrungen, sie aber nicht zerstört. Sie würde so schnell nichts umbringen. Ein Jahr und einen Herbst.