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Kurzgeschichte (8) - Dem Glück zu nah

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 19. Dezember 2016

Deinen besten Freund zu verlieren ist das schlimmste was dir passieren kann. Es fühlt sich an, wie als würde jemand dein Herz mit bloßen Händen zerquetschen. Wie als würde dir jemanden mit voller Absicht den Hals zudrücken. Doch das schlimmste ist, wenn die Person von der du gedacht hast, dass sie dir niemals wehen tun würde, die Person ist die dir den größten Schmerz zufügt. Nicht äußerlich, sondern innerlich.

Sie hatten sich vor fünf  Jahren kennengelernt. Sie arbeiteten gemeinsam an einer kleinen Fernsehshow. Beide als Moderatoren, doch bis fünfzehn Minuten vor der ersten Sendung sich vollkommen fremd. In einem kleinen Raum trafen sie das erste Mal aufeinander. Er gab ihr höflich die Hand und stellte sich vor, sie grinste ein wenig und tat es ihm gleich. „Ich bin Alex.“ Hatte er gesagt und sie konnte nicht sagen wieso, doch sie wusste von diesem Augenblick, dass sie immer Teil des anderen sein würden. Als Freund, als Kollege wer wusste das zu dieser Zeit schon? Und so war es auch. Es gab keinen Moment den sie nicht miteinander verbrachten, miteinander lachten. Es war, wie als hätte das Schicksal sie zusammengeführt. Doch irgendwann waren sie auf sich alleine gestellt gewesen, ein richtiger Schritt und sie hätten für den Rest ihres Lebens glücklich werden können. Doch sie hatten ein paar falsche gemacht, alles riskiert und alles verloren. Sie hatten sich verbrannt, zu nah an der Sonne geflogen und entschieden, dass es keine Zukunft gab. Eines Nachts liefen alle vergangenen Momente vor ihrem inneren Auge ab und sie konnte spüren, wie ihr Herz letztendlich in zwei Teile zerbrach und sie weinte. Einsam und alleine zwischen kalten Lacken wälzte sie sich von links nach rechts und hoffte, dass alles wieder so würde wie zuvor. Es gab keine Sonne mehr, nur noch tiefste Nacht und Dunkelheit. Jeder einzelne Stern, an dem sie sich verzweifelt versuchte festzuhalten schüttelte sie ab und sie fiel erneut.

Sie hatten seit Monaten kein Wort mehr miteinander gesprochen. Er hatte andere geküsst, versucht sie zu vergessen. Er konnte nicht zugeben, dass er sie genauso vermisste wie sie ihn. Sein Stolz ließ es nicht zu. Er wusste, dass es ihr nicht gut ging, auch wenn man es ihr auf den ersten Blick nicht ansah. Ihre Schwester hatte heimlich bei ihm angerufen, ihn angeschrien. Doch dann wurde ihre Stimme ganz leise und sie hatte ihm erzählt wie es wirklich um sie stand. Das schlimmste war das er ihr immer versprochen hatte, dass er sie nie verletzten und immer auf sie aufpassen würde. Nicht wie ihr Ex, der sie einfach so links liegen gelassen hatte. Und jetzt war er kein Stück besser. Er wusste heute noch, wie sehr ihr die Trennung zu der Zeit zugesetzt hatte. Sie verlor so viel Gewicht, dass er irgendwann das Gefühl hatte das sie zerbrechen würde, wenn er sie zu fest drückte. Doch gemeinsam hatten sie geschafft sie aus diesem Tief wieder an die Oberfläche zu bringen und nun schien es, wie als würde sie erneut zu Boden sinken, untergehen in den Wellen der Verzweiflung und der Einsamkeit.

Alle waren davon ausgegangen, dass zwischen den beiden längst mehr war als nur eine sehr enge Freundschaft. Sie waren sich so nah, in allem was sie taten. Und vielleicht war genau, dass das Problem. Sie waren sich so nah, dass das Atmen manchmal schwer fiel und als sie noch einen weiteren Schritt aufeinander zugemacht hatten blieb ihnen keine Luft zum Atmen mehr. Er hatte sie mit allem, was er hatte von sich gestoßen, ohne darüber nachzudenken, wie sehr er sie damit verletzte. Mehrfach hatte er versucht ihr wenigstens eine kleine Nachricht zukommen zulassen, doch jedes Mal, wenn sein Finger über der Sendentaste ausharrte löschte er jedes Wort und jeden Buchstaben und warf sein Handy quer durch den Raum.

Es war spät. Kurz nach eins. Sie hatte gerade den Fernseher ausgeschaltet und blickte nun wortlos an die Decke. Gerade als sie sich aufraffen wollte um ins Bett und unter die warme Decke zu verschwinden klingelte es ein paar Mal an der Tür. Sie horchte ein wenig verdutzt und schlich leise in ihren Hausflur. Sie hatte ihre neue Adresse nur ihren engsten Freunden zukommen lassen und die hätten sich vorher gemeldet, wenn sie um diese Uhrzeit noch vor ihrer Tür aufschlagen würden.

Als sie einen kurzen Blick durch das Spionageauge ihrer Tür wagte, konnte sie spüren, wie ihr Herzschlag augenblicklich an Schnelligkeit zunahm. Sie haderte ein wenig mit sich und ihrem Verstand, ob sie für solch eine Konfrontation an diesem Abend noch die Kraft hatte. Sie wusste selber, dass es so nicht weiter gehen konnte, es tat ihr nicht gut. Doch seine Nähe genauso wenig. Als sie die Türklinke langsam nach unten drückte, sprang die dunkel lackierte Haustür wenig später aus dem Schloss und gab den unverfälschten Blick auf seinen vom nächtlichen Alkohol gekennzeichneten Körper frei. Er schien zuerst gar nicht zu realisieren das die Tür sich wirklich geöffnet hatte. Erst als sie sich leise räusperte, schnellte sein Kopf messerklingenscharf in ihre Richtung. Für eine gefühlte Ewigkeit sagte keiner der beiden auch nur ein Wort. Sie schauten sich einfach nur an. Kopf bis Fuß, Nasenspitze zu Fingerspitze. „Was willst du hier?“ Murmelte sie irgendwann leise und konnte spüren, wie eine unbeschreibliche Wut in ihr aufstieg. Nicht nur auf ihn, auf jeden Moment, auf jedes Gefühl, auf die letzten Monate ihres Lebens. In dem Moment als sein Blick das erste Mal wieder auf sie fiel, schien der Alkohol wie aus seinem Körper und Blut verschwunden, er fühlte sich so nüchtern wie lange nicht mehr. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie ihn wieder vollkommen eingenommen. Es war, wie als könnte er die Berührungen aus der Vergangenheit auf seiner Haut spüren. „Können wir reden?“  Erwiderte er vorsichtig und machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich instinktiv zurück und stolperte fast über den Haufen Schuhe hinter der Tür. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie zurück auf die Füße. Sie schüttelte ihn bewusst ab und machte einen weiteren Schritt zurück. „Jetzt auf einmal willst du reden?“ Fragte sie vorwurfsvoll und stemmte die Hände in die Hüften. Er blickte beschämt zu Boden und trat einen kleinen Stein ins Gebüsch. „Es tut mir leid Caro.“ Sagte er leise und hob langsam den Kopf. „Du hast mir das Herz gebrochen, mich gequält obwohl du mir versprochen hast, dass du niemals so sein würdest wie er. Und weißt du was? Du bist kein Bisschen besser.“ Die erste Träne bahnte sich ihren Weg über ihre Wange und sie wischte sie mit ihrem Handrücken hastig weg. „Ich weiß das ich es versaut habe, aber vor ein paar Monaten war mir einfach alles zu viel. Es tut mir leid, dass du diejenige warst die alles abbekommen hat. Ich konnte einfach nicht mehr.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf und seufzte sarkastisch. „Wie kommt es eigentlich, dass euch Männern immer alles zu viel wird? Scheint ja eine Volkskrankheit zu sein.“ Erwiderte sie und prägte ihn sich ein letztes Mal ein, bevor sie auf dem Absatz kehrt machte und die Tür hinter sich schloss. Sich noch einmal umzudrehen hätte zu wehgetan.

Sie wollte alles klären, aber es ging einfach nicht. Er hatte sie zu sehr verletzt und sie konnte ihm die letzten Wochen und Monate einfach nicht verzeihen. Er war mal einer der Mittelpunkte ihres Lebens gewesen und jetzt war er nur noch ein dunkler Fleck auf der Landkarte ihres Lebens, bei dem sie sich für immer fragen würde, ob es nicht auch anders hätte Enden können. Er wusste, dass er verloren hat. Er hatte es nicht geschafft die Ziellinie rechtzeitig zu erreichen und nun kroch er nur noch vorwärts, um dem Meer der Enttäuschung irgendwie zu entkommen. Vielleicht eines Tages. Eines Tages würde sie ihm verzeihen, hoffentlich war es dann nicht schon zu spät um doch noch glücklich zu werden.