Das vertonte Vermächtnis einer Legende

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 22. November 2011

„Als Hank Williams starb, hinterließ er eine abgegriffene, kunstvoll bestickte braune Ledermappe. Wie ihr Besitzer war sie mit der Zeit etwas heruntergekommen, strahlte aber noch immer eine gewisse Würde aus, die die derbe Behandlung überstanden hatte. Hank benutzte die Ledermappe um darin gebundene Notizbücher aufzubewahren in die er Ideen für Songs und Texte schrieb; manche nur in Fragmenten, andere vollständig. Ende Dezember 1952 existierten vier solcher Notizbücher und sie alle beinhalteten Songs, die nie gesungen oder noch nicht aufgenommen wurden. Und als Hank seinen letzten Atemzug tat, schien es, als müssten die Poesie und die Versprechen jener Lieder mit ihm enden.“
Im Booklet zum neuen Hank-Williams-Album wird eine Geschichte erzählt. Es ist die Erklärung, wie der oft als beste Countrysänger aller Zeiten bezeichnete „Lovesick Blues Boy“ fast 60 Jahre nach seinem Tod neue Arbeiten veröffentlichen kann. Natürlich kann er es nicht selbst. Aber Andere, die von ihm beeinflusst wurden. Zum Beispiel Bob Dylan, Sheryl Crow, Jack White und Norah Jones. Sie alle interpretierten seine Songs für dieses Album - „The Lost Notebooks Of Hank Williams“.

60 Jahre nach dem Tod von Hank Williams erscheinen neue Songs von ihm

Es ist ein akustisches Denkmal; das vertonte Vermächtnis einer Legende die nur 29 Jahre alt wurde und sich Zeit ihres Lebens selbst zerstörte. Schon mit 17 Jahren war das Alkoholproblem von Hank Williams nicht mehr zu übersehen und als er von der Radiostation WSFA, für die er zweimal pro Woche eine 15-minütige Sendung moderierte, wegen gewohnheitsmäßiger Trunksucht entlassen wurde, war er erst 18 Jahre alt. Dabei war das Trinken für Williams nur Mittel zum Zweck, das er allein in dunklen Ecken und abgeschlossenen Badezimmern tat – Alkohol dämpfte den Schmerz, den Williams empfand, sowohl körperlich (er litt seit seiner Geburt an einem Wirbelspalt) als auch geistig (Williams war Zeit seines Lebens depressiv und labil). Mit 21 hatte er geheiratet, seinen ersten Entzug durchgemacht und blieb eine Weile trocken. Nach dem Krieg begann der große Boom mit Autos und Highways und der neuen alten Freiheit. Songs schrieb Hank Williams die ganze Zeit - über Herzschmerz, Einsamkeit, Liebe, Angst, über alles, was Männer in dieser Zeit nicht öffentlich zeigen durften. Das alles schrieb und sang Williams in jenen Jahren mit schonungsloser Offenheit.

Seine produktive Zeit umfasst nicht einmal sechs Jahre, von Dezember 1946 bis September 1952. In diesem kurzen Zeitraum nahm er nur 35 Singles auf; fünf davon erschienen posthum. Elf Singles erreichten Platz 1 der Charts, 26 kamen in die Top Ten. Hank Williams konnte nicht einmal Noten lesen, aber sein Schaffen veränderte die Musikwelt grundlegend. Als er 1951 bei einem Jagdausflug stürzte, kamen seine alten Rückenbeschwerden wieder. Alkohol und Schmerzmittel begleiteten ihn noch stärker als jemals zuvor und schließlich, auf dem Weg zu einem Neujahrskonzert in Ohio 1953, starb er, kurz vor oder kurz nach dem Jahreswechsel 1952/53. Zurück blieben seine Frau, sein dreijähriger Sohn, der später ebenso wie zwei seiner Enkel Countrysänger wurde und vier der braunen Notizbücher. Bob Dylan nahm sich der Songs an und vertonte auf „The Lost Notebooks Of Hank Williams“ einen davon selbst. Die anderen elf Songs wurden von Musikern aufgenommen, die ebenso wie Dylan stark von Williams beeinflusst worden waren. „I'm So Happy I Found You" wurde von Williams' Enkelin Lucinda Williams aufgenommen; Bob Dylans Sohn Jakob sang „Oh, Mama, Come Home“ und Country-Legende Merle Haggard nahm sich des Stückes „The Sermon On The Mount“ an. Es ist ein Album, das von den Legenden von heute als Tribut für eine Legende von gestern aufgenommen wurde. Eine Legende, die 2010 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und noch immer als die entscheidende Kraft angesehen wird, die Country zu dem gemacht hat, was es heute ist.

„The Lost Notebooks Of Hank Williams“ ist jetzt im Handel erhältlich.