Warum Hollywood-Filme (angeblich) immer prüder werden

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 26. März 2013

Die Sunday Times brachte vor zwei Tagen einen interessanten Artikel, der die These vertrat, dass Hollywood-Filme zusehends prüde werden - das, was früher anzügliche Szenen an Umsatz in die Kinokassen brachten, seien heute Spezial-Effekte. Klar, dass Bild die Story aufgriff:

Inzwischen schneiden Hollywood-Produzenten jugendfreie Szenen lieber raus. Der Grund: Angeblich verkauft sich Sex nicht mehr an den Kinokassen.

„Basic Instinct“, „Enthüllung“ und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ waren die Filme, die einst Zuschauer anlockten. Sex sells! - so dachte man. Aber nachdem diese Prämisse über Jahrzehnte hinweg funktionierte, ist jetzt damit Schluss, behaupten einige „Filmanalytiker“. Sex verkauft sich also nicht mehr. Aber das ist natürlich Unsinn.

Die Argumente der Studiobosse sind einleuchtend: Wenn explizite Sex-Szenen im Film vorkommen, muss man in den USA auf das familien- und so mit umsatzfreundliche NC-Rating verzichten. Damit können Jugendliche den Film nicht sehen und es werden weniger Kinokarten verkauft. Animationen und tolle Effekte stören aber niemanden. Außerdem bietet das Internet inzwischen so viel Sex und Pornografie, dass entblößte Haut keinen mehr aus dem Sessel haut. So weit so klar. Der letzte Blockbuster mit einer Sex-Szene sei „Titanic“ gewesen - und das war ja 1997:

Laut Film-Analytikern soll das Schiffsbruch-Drama von James Cameron übrigens der letzte Blockbuster mit einer handfesten Sex-Szene gewesen sein.

Nach „Titanic“ gab es - natürlich - etliche „Blockbuster“ (wie auch immer man diese Bezeichnung definieren will), die explizite Szenen hatten. Da wäre zum Beispiel „Matrix Reloaded“, in dem Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss wenig subtil zur Sache kommen - parallel dazu wird sogar eine riesige Orgie angedeutet! Ebenso geknistert hat es in „Eyes Wide Shut“, „Killing Me Softly“, „Das Parfum“, „Match Point“, „Abbitte“, „Gegen die Wand“, „Eiskalte Engel“, „Freunde mit gewissen Vorzügen“, „Monster's Ball“ und unzähligen anderen - mal sehr explizit, mal eher subtil. Im neuen Nicole-Kidman-Film „The Paperboy“ gibt es ebenfalls eine eindeutige Szene.

Angeblich, so behaupten Wissenschaftler, würden jetzt auch immer öfter Frauen bestimmen, was sich Pärchen ansehen. Demzufolge verkauft sich Sex also nicht schlechter, sondern die (offenbar prüden) Damen übernehmen das Ruder. Woher genau die Daten kommen, gibt die konservative „Sunday Times“ jedoch nicht an.

Die relativ neue Strömung um den pornografischen Independent-Film wird von „Bild“ wie auch von „Sunday Times“ jedoch totgeschwiegen, dabei etablierten Filme wie „9 Songs“, „The Brown Bunny“, „All About Anna“ und „Ken Park“ in den letzten zehn Jahren ein ganz neues Genre, dessen herausstechendstes Merkmal die expliziten Sex-Szenen sind. Prüde ist also niemand plötzlich geworden - schon gar nicht das Publikum, das zu Recht erwartet, dass Sex-Szenen nicht nur in billigen Schmuddel-Filmchen vorkommen dürfen und explizite Szenen auch nicht sofort das Prestige eines anspruchsvollen Films schmälern müssen.

Sex verkauft sich also noch immer - ob im Independent-Bereich, oder in großen Blockbustern (auch nach „Titanic“). Das Problem sind eben nur die Filmproduzenten, die sich im Mainstream mit feigem Einheitsbrei eine goldene Nase verdienen wollen und deshalb das Zielpublikum so breit wie möglich halten. Ja, die sexuelle Revolution der 70er muss sich nicht mehr im kommerziellen Kino wiederspiegeln - aber Sex war doch schon vor jener Revolution ein elementarer Bestandteil des Lebens! Sexualität aus dem Kino auszusperren bedeutet dann gelegentlich auch, glaubhafte Figuren auszusperren. Siehe „Silver Linings Playbook“, in dem Jennifer Lawrence eine Nymphomanin ohne eine einzige Sex-Szene spielte. Da sehen wir uns doch lieber noch einmal „Black Snake Moan“ an, in dem Christina Ricci eine wesentlich bessere Nymphomanin hergab.