Schnellschussdiagnose: Warum „The Master“ kein Scientology-Film ist

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 21. Februar 2013

Paul Thomas Anderson hat nach „Magnolia“ und „There Will Be Blood“ wieder einen Film geschaffen, der tiefsinnig, grandios geschauspielert und feinfühlig inszeniert ist: „The Master“ startet heute in den deutschen Kinos. Im Cast: Drei starke Zugpferde, die alle Chancen auf den Oscar haben: Philip Seymour Hoffman als Sektenführer Lancaster Dodd, Joaquin Phoenix als dessen anfangs ergebener Anhänger und Amy Adams als Dodds Frau. Mit dem in den USA von der Kritik gefeierten „The Master“ hat man es hier in Deutschland aber nicht so einfach. Das liegt unter anderem daran, dass Scientology in Deutschland kein so großes Thema ist - aber eben auf diese Sekte wird „The Master“ gern reduziert. Völlig zu Unrecht allerdings, denn es handelt sich nicht um eine platte Scientology-Analogie.

Joaquin Phoenix spielt den depressiven Kriegsheimkehrer Freddie, der von der neuen Glaubens-Bewegung um Dodd begeistert ist. Aber als immer mehr Menschen sich der Bewegung anschließen und Dodds Machenschaften immer fragwürdiger werden, kommen Freddie Zweifel, ob sein Mentor wirklich der „Master“ ist.

Ja, Anderson, der auch das Drehbuch zum Film geschrieben hat, ließ sich von L. Ron Hubbard inspirieren. Hubbard gründete kurz nach dem Krieg seine umstrittene Sekte, der unter anderem John Travolta, Lisa Marie Presley und das internationale Vorzeigegesicht, Tom Cruise, angehören. Auch der Film spielt kurz nach dem Krieg und eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Sektenführer Hoffman und L. Ron Hubbard ist kaum zu übersehen.  Und ja, es geht um Sekten und die Fähigkeiten, die Dinge und das eigene Handeln zu hinterfragen. Das passt wie die Faust aufs Auge bei der Neo-Religion Scientology. Trotzdem: Amerikas schöne neue Nachkriegsgesellschaft wurde nicht nur von Männern angeführt, die Sekten gegründet haben, sondern von Leuten, die durch Charisma und geschicktes Taktieren Menschen begeistern konnten - nicht immer für gute Dinge. Und selbst bei den Sektenführern gäbe es schlimmere Besipiele - Jim Jones etwa konnte 900 seiner Anhänger überzeugen, sich selbst umzubringen. „The Master“ ist deswegen nicht einfach ein Film über Scientology oder Sekten allgemein, sondern ein Film über den freien Geist an sich - und die Fähigkeit, ihn auch einzusetzen. Es ist eine Geschichte um Freiheit und Mut, eine Geschichte darum, dass man sich nicht zum Sklaven machen lassen sollte und der freie Wille ein Geschenk ist, das man nutzen sollte, wenn man sich nicht von vermeintlichen Führern in die Irre leiten lassen will. Eigentlich das Thema sehr vieler Filme: Denke selbst! Befreie Deinen Geist! (Oh Captain, mein Captain!) Zwar nutzt „The Master“ für den Transport der Prämisse eine Sekte, aber der Konflikt lässt sich problemlos auf alle Religionen und Weltanschauungen übertragen. Mit Schnellschuss-Diagnosen wie „Das ist ein Scientology-Film!“, kratzt man also nur an der Oberfläche. Paul Thomas Anderson ist schließlich auch nicht bekannt für seine plumpen Analogien.