Vom Siegeszug des Vibrators und der Emanzipation - In guten Händen

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 21. Dezember 2011

Wenn die Gebärmutter nicht regelmäßig mit Sperma gefüttert wird, schweift sie im Körper suchend umher und beißt sich schließlich im Gehirn fest, was bei Frauen zu hysterischem Verhalten führt - so dachten viele Mediziner bis vor 150 Jahren. Allerdings erkannte man bald, dass nicht nur Frauen an Hysterie „erkrankten“, sondern auch Männer. Als typische Symptome galten Krämpfe, Bewegungssturm, Lähmungen, Kritiksucht, Gefühlsstörungen, Ungehorsam, Geltungsbedürftigkeit, Blindheit und Taubheit, Unreflektiertheit, aggressives Verhalten und Egoismus. Der Arzt empfahl bei der Diagnose „Hysterie“ meist, die Frau „zur Krise zu treiben“, also – nach heutigem Wortgebrauch - zum Orgasmus zu bringen und, falls die Patientin unverheiratet war, sie möglichst schnell zu verheiraten. Auch Schwangerschaft und Reiten galten als Heilmittel. Um hysterische Frauen „zur Krise zu treiben“ gab es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Arztpraxen, in denen ein Mediziner den Patientinnen eine Intim-Massage verabreichte, die sie bis zum „Moment der Verkrampfung“ führte – einer rein klinischen Entlastung des Nervensystems, die im prüden viktorianischen England auf keinen Fall mit einem herkömmlichen Orgasmus verwechselt werden durfte und keinerlei sexuelle Aspekte hatte. 1869 entwickelte der amerikanische Arzt George Taylor ein dampfbetriebenes Ungetüm, das den Ärzten die Arbeit abnehmen sollte. Allerdings war sein „Manipulator“ so groß und teuer, dass er nur vereinzelt zum Einsatz kam. Glücklicherweise entwickelte ein britischer Arzt namens Joseph Mortimer Granville 1883 den „Percuteur“ - den Vorgänger des Vibrators. In „In guten Händen“ wird Granville von Hugh Dancy gespielt. In dem Film geht es um die Entwicklung des Vibrators, Emanzipation, Frauenrechte und natürlich – Liebe.

London 1880: die viktorianische Prüderie befindet sich auf dem Höhepunkt, während gleichzeitig die Elektrizität ihren Siegeszug beginnt. Derweil ist der leidenschaftliche junge Arzt Mortimer Granville (Hugh Dancy) auf der Suche nach einem neuen Job und stößt dabei auf Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce). Als Hysterie- und vermeintlicher Frauen-Experte hat er es mit einer stetig steigenden Zahl von Patientinnen zu tun. Zur Heilung legen Dalrymple und sein junger Kollege an sehr intimen Stellen Hand an – und haben damit durchschlagenden Erfolg. Als er in beiden Händen von Krämpfen geplagt wird, findet Mortimers medizinische Laufbahn genau wie seine Verlobung mit der jüngeren Tochter seines Chefs (Felicity Jones) ein im wahrsten Sinne des Wortes unbefriedigendes Ende. Um eine schnelle Lösung zu finden, tut er sich mit seinem alten Freund und Wissenschaftler Edmund St. John-Smythe (Rupert Everett) zusammen. Die Elektrizität hat ihre ganz eigene Faszination und beflügelt Mortimer schließlich zur Erfindung des Vibrators. Somit erweist er nicht nur seinen hysterischen Patientinnen, sondern auch der sexuellen Befreiung der Frau im Allgemeinen einen großen Dienst. Und es dauert nicht lange, bis auch zwischen ihm und Emilys fortschrittlicher Schwester Charlotte (Maggie Gyllenhaal) die Funken sprühen.

Es ist eine sehr unterhaltsame Geschichte über Aufmüpfigkeit, Fortschritt und Lust, die uns Regisseurin Tanya Wexler präsentiert. Während Mortimer verklemmt und wohl erzogen ist, kämpft Charlotte permanent gegen die Übermacht des männlichen Geschlechts und zeigt selbst einige hysterische Symptome. In den Hauptrollen sind Maggie Gyllenhaal und Hugh Dancy zu sehen.

Während Maggie Gyllenhaal schon recht bekannt ist, wartet Dancy noch auf den internationalen Durchbruch. Den wird er mit der netten, aber insgesamt recht seichten Geschichte von „In guten Händen“ aber wohl auch nicht schaffen. Tendenziell zu stereotyp sind die Figuren, wenn auch unterhaltsam. Auch die Handlung ist im Ganzen recht verbraucht und birgt zu wenige Überraschungen. Allerdings sind Schauspieler und auch die vielen witzigen Momente überzeugend genug, um einen den Kinogang nicht bereuen zu lassen.

Maggie Gyllenhaal ist die ältere, jedoch etwas weniger erfolgreiche Schwester von Jake Gyllenhaal („Prince Of Persia“, „Brokeback Mountain“, „Jarhead“). Die beiden sind das erste Geschwisterpaar im 21. Jahrhundert, das für einen Oscar nominiert ist. Sie erhielt die Nominierung für „Crazy Heart“; ihr Bruder vier Jahre zuvor für „Brokeback Mountain“. Der Durchbruch kam für Maggie Gyllenhaal schon 2002 mit dem Independent-Streifen „Secretary“, in dem sie eine devote Sekretärin spielt, die sich auf eine sadomasochistische Beziehung mit ihrem Chef einlässt. Dafür erhielt sie eine Golden Globe-Nominierung und gewann eine Reihe mehr oder weniger bedeutender Filmpreise. Seitdem arbeitete sie sich hartnäckig nach oben und spielte an der Seite von Christian Bale, Michael Caine, Julia Roberts und Nicolas Cage. In ihrem nächsten Film „Learning To Fly“ spielt sie erneut die Rolle einer Frau, die sich aus gesellschaftlichen Zwängen und Konformität befreien muss. 2012 spielt sie in „Voice From The Stone“ an der Seite von „Casino Royale“-Bösewicht Mads Mikkelsen in einem Horrorthriller um einen besessenen Jungen.

In guten Händen“ ist ab 22. Dezember 2011 im Kino zu sehen. 

 

Prüderie trifft sexuelle Revolution