Nicht von schlechten Eltern - „Chronicle“

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 17. August 2012

Was ist grade angesagt in Sachen Filmgenres? Found Footage - auf jeden Fall. Die verwackelten Kameraaufnahmen heucheln Authentizität und sind gleichzeitig sagenhaft billig. Und Superhelden! Ja, die stehen grade sehr weit oben im Kurs. Dann kreuze man doch einfach diese Genres. Heraus kommt „Chronicle - Wozu bist Du fähig?“. Wer sich nicht vom (wie immer) bekloppten Untertitel abschrecken lässt, dürfte angenehm überrascht sein, was entstehen kann, wann ein ambitionierter Regisseur zwei ausgelutschte Genres kreuzt.

„Chronicle“: „Cloverfield“ trifft „Carrie“

Andrew (Dane DeHaan) ist ein klassischer Versager: sein Vater hasst ihn, in der Schule wird er gehänselt und Sex hatte er auch noch nie. Aber als er zusammen mit seinem Cousin (Alex Russell) und einem Mitschüler (Michael B. Jordan) ein merkwürdiges Erdloch untersucht, passiert Merkwürdiges - alle drei haben auf einmal telekinetische Kräfte. Der Spaß mit der Kraft ist aber bald vorbei, als Andrew anfängt, die Kraft gegen jene einzusetzen, die ihm früher das Leben schwer gemacht haben.

Die Handlung erinnert ein wenig an George A. Romeros B-Rache-Streifen „Bruiser“ - das Opfer erlangt Macht und übt Vergeltung. Keine neue Idee, aber unterhaltsam ist es allemal, zumal die Effekte von „Chronicle“ sich durchaus sehen lassen können. Nicht nur Teenager dürften ihren Spaß daran haben, den Jungs zuzusehen, wie sie Passanten mit ihren Fähigkeiten ärgern, oder wie Andrew auf einmal zum Star der Schule wird, weil er seine vorgeblichen Zaubertricks vorführt. Das ist viel mehr ein Spaß für die ganze Familie - großartige Gewaltdarstellungen gibt es nicht; bis auf ein oder zwei minimal-blutige Szenen. In der normalen Fassung erhielt „Chronicle“ daher eine FSK 12. Die ein paar Minuten längere Extended Edition hat eine FSK 16 erhalten.

Andrews Figur ist die einzige, über deren Hintergrund man als Zuschauer etwas erfährt - seine Mutter stirbt langsam aber sicher an einer Lungenkrankheit, während sich sein Vater morgens betrinkt und ihn hin und wieder verprügelt. Dass sich da Aggressionen anstauen, ist verständlich. Auch die Straßenrowdys in seinem Viertel und ein fieser Schulschläger kriegen ihr Fett weg. Wie einst bei „Falling Down“ muss man sich ermahnen, den Rachefeldzug nicht gut zu heißen, zu mal es ja auch manche Unschuldige trifft. Unnötig in die Handlung hineinkonstruiert ist ein Subplot um eine Blondine, die das Liebchen von Andrews Cousin werden soll. Aber bei grade einmal 83 Minuten Laufzeit muss man wahrscheinlich an Ideen alles nehmen, was man kriegt - so wie Stephen King damals seinen Debütroman „Carrie“ mit fiktiven Zeitungsberichten anreichern musste, damit die Geschichte länger wurde. Auch in „Carrie“ ging es um einen rachsüchtigen Jugendlichen mit telekinetischen Fähigkeiten.

Eine Fortsetzung ist schon in Arbeit. Wieder soll Josh Trank, der mit „Chronicle“ sein Spielfilm-Debüt ablieferte, auf dem Regiestuhl Platz nehmen (bevor er angeblich ein Reboot von „Fantastic Four“ drehen darf). Nach dem finanziell recht erfolgreichen ersten Film darf man gespannt sein. Allerdings hoffen wir, dass Trank kein überkandideltes Gut-Gegen-Böse-Picture mit Endzeitstimmung daraus macht.

Die DVD enthält neben dem Trailer und dem Kameratest auch die Simulation, die zeigt, wie die Szenen in Rohfassung am Computer ausgesehen haben.