Apollo 18 birgt nicht viel Neues

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 10. Oktober 2011

Am 30. Oktober 1938, dem Vorabend von Halloween, wurde vom amerikanischen Radiosender CBS eine Reportage über eine Landung von Marsmenschen in einem winzigen Ort namens Grover's Mill in New Jersey ausgestrahlt. Das löste in New York und einigen anderen Großstädten starke Verwirrung aus, die oft sogar als „landesweite Massenpanik“ beschrieben wird. Der Haken daran: In Grover's Mill sind nie Außerirdische gelandet. Die Reportage wurde von Orson Welles als Hörspiel inszeniert. Basis war ein Roman von Science-Fiction-Autor Herbert G. Wells mit dem Titel „Krieg der Welten“. Viele, oder zumindest einige Amerikaner fielen auf das vorgeblich authentische Material herein und glaubten, dass wirklich eine Alieninvasion vor sich ginge. Das funktionierte auch in Deutschland: 1977 strahlte der WDR eine Neubearbeitung des Hörspiels aus – und obwohl mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass es sich um eine fiktive Reportage handelt, riefen besorgte Bürger beim WDR an. Letztes Jahr an Halloween strahlte ein Hamburger Radiosender eine veränderte Version des Hörspiels aus, das die Handlung von New Jersey nach Hamburg verlegte – und prompt riefen nach der Ausstrahlung besorgte Bürger die Polizei.

Das Prinzip, eine Inszenierung wie eine Dokumentation oder anderes authentisches Material aussehen zu lassen, lässt sich natürlich auch auf das Medium Film übertragen. Und in den Kinos ist dieses Prinzip nicht erst seit diesem Jahr sehr gefragt. Das Subgenre nennt sich „Mockumentary“ oder öfter: „Found Footage“. Und der aktuelle Kinofilm dieser Gattung heißt „Apollo 18“.

Offiziell war Apollo 17 die letzte Mission zum Mond, aber es wurden, so will uns „Apollo 18“ Glauben machen, im Dezember 1974, zwei Jahre nach Apollo 17, nochmal drei Astronauten in den Orbit geschossen, um den USA im Kalten Krieg einen Vorteil zu verschaffen: Auf dem Mond soll ein Raketenfrühwarnsystem installiert werden, das sowjetische Interkontinentalraketen rechtzeitig erkennen kann. Aber auf dem Mond gehen recht sonderbare Dinge vor sich: Merkwürdige Fußspuren, unerklärliche Erschütterungen, und dann verschwindet auch noch die im Mondstaub gehisste US-Flagge auf mysteriöse Weise. Recht schnell wird klar, dass die Astronauten auf dem Mond nicht allein sind. Als dann auch noch die malträtierte Leiche eines russischen Kosmonauten gefunden wird, ist es höchste Zeit zu verschwinden. Aber das ist gar nicht so einfach, denn unmittelbar bevor die Raumkapsel abheben kann, zerfetzt irgendetwas von außen die Stromversorgung.

Atmosphäre auf dem Mond

Die Idee des Films ist nicht übel, auch wenn der Plot von Natur aus wenig überraschen kann – was soll sich schließlich sonst auf dem Mond aufhalten, wenn nicht Außerirdische? Zwischen den leider sehr konturlos bleibenden Protagonisten sieht man jedoch recht häufig klassische Horrorfilm-Momente, die genau das sind, was sie auch sein sollen: unheimlich. Die subgenre-typisch verwackelte Handkamera fängt die klaustrophobische Atmosphäre in der engen Raumkapsel sehr gut ein und die kalte, schwarze Weite des Weltalls macht den trostlosen, scheinbar verlassenen Mond auch nicht grade zu einem einladenderen Setting. Das ist einfach kein Ort, an dem man sein möchte. Und erst recht ist es kein Ort, an dem man, umgeben vom latenten Erstickungstod, mit irgendwelchen Außerirdischen rangeln will.

Auch wenn „Apollo 18“ nichts Neues zu bieten hat, so kann er den Zuschauer doch in seinen Bann ziehen – jedenfalls zu Beginn. Sobald geklärt ist, was genau dort auf dem Mond vor sich geht, verliert man jedoch das Interesse. Der Grund dafür ist einfach: man möchte herausfinden, was dort Unheimliches auf dem Mond vor sich geht. Aber als das im zweiten Akt geklärt wird, war es das mit der Spannung weil die Figuren zu platt sind, um sich mit ihnen zu identifizieren und es dem Zuschauer deswegen egal ist, ob sie überleben oder nicht.

Was den vor der Kamera agierenden Cast betrifft, ist „Apollo 18“ sehr minimalistisch – neben unseren beiden Protagonisten (einer der drei Astronauten bleibt in der Raumfähre zurück, während die beiden anderen mit der Raumkapsel landen) sind nur eine handvoll Charaktere zu sehen, deren Spielzeit sich auf wenige Minuten beschränkt. Den größten Teil der Zeit bekommt man nur Warren Christie und Lloyd Owen zu sehen. Christie kennt man, falls überhaupt, aus zweitklassigen Fernsehfilmen und Serien - und Owen hat abgesehen von einer kleineren Rolle im semi-erfolgreichen „Miss Potter“ (2006) auch nur für das Fernsehen gearbeitet. Aber so wie der kleine Cast ist auch das Besetzen unbekannter Darsteller typisch für das Genre „Found Footage“. Owens Figur, die des Kommandanten Nathan Walker, bietet von Seiten des Drehbuches mehr, daher wirkt seine Darbietung überzeugender, aber auch Christie ist weit entfernt von einem schlechten Spiel. Das rettet „Apollo 18“ jedoch nicht - sobald die Katze aus dem Sack ist, dass definitiv Aliens auf dem Mond sind und sie uns nicht dort wollen, geht es mit dem Fünf-Millionen-Dollar-Streifen bergab. Das Mysterium auf dem Mond hat den Zuschauer gefesselt, aber die Charaktere sind zu platt, um das Interesse auch über den zweiten Akt hinaus aufrecht zu halten. Den Überlebenskampf der und später des Helden verfolgt der Zuschauer teilnahmslos; jedenfalls nicht mit der Spannung, die Regisseur Gonzalo López-Gallego hätte erzeugen können. So verkommt „Apollo 18“ zum Ende hin immer mehr zu einer belanglosen Farce, die abgesehen von Schock-Momenten nicht viel zu bieten hat. Das könnte am noch völlig unerfahrenen Drehbuchautor Brian Miller liegen. Co-Autor Cory Goodman hat abgesehen von „Priest“ auch noch nichts vorzuweisen.

Schon wieder „geheimes Material“ gefunden!

Regisseur Gonzalo López-Gallego dagegen ist nicht unerfahren. Er hat es aber dennoch versäumt, aus dem Drehbuch mehr herauszuholen. In seinem Heimatland schon eine etablierte Größe, soll der 1973 geborene Spanier jetzt auch in Hollywood Fuß fassen. „Apollo 18“ ist seine erste US-Produktion.

Ein neues Subgenre entsteht

Das Genre „Found Footage“ entstand dem heutigen Sinne nach, also mit Bildmaterial, das vorgeblich authentisch, in der Tat aber vollständig oder zum größten Teil inszeniert ist, schon im Jahr 1980 mit dem in Deutschland noch immer beschlagnahmten Exploitation-Film „Nackt und zerfleischt“ von Ruggero Deodato. Populär wurde das Genre aber erst 1999 mit dem kommerziell sehr erfolgreichen „Blair Witch Project“, der bei einem Budget von 60.000 Dollar fast 250 Millionen Dollar einspielte. Damit steht er auf Platz zwei der wirtschaftlich rentabelsten Filme aller Zeiten. (Platz eins hat nach wie vor „Deep Throat“ inne.) In den Jahren danach kamen viele Filme in die Kinos, die diesem Stil folgten: „[REC]“ (2007), „Paranormal Activity“ (2007), „Cloverfield“ (2008), „Der letzte Exorzismus“ (2010) und „Trollhunter“ (2010), um nur eine handvoll zu nennen. Alle miteinander haben sie überwiegend gute Kritiken bekommen und logischerweise einen veritablen Gewinn abgeworfen. Auch haben sie alle Fortsetzungen, oder werden welche bekommen – die Fortsetzung von „Cloverfield“ wird wahrscheinlich 2014 in die Kinos kommen und „Der letzte Exorzismus 2“, der hoffentlich noch einen anderen Titel bekommt, wird voraussichtlich 2012 fertig sein. „Trollhunter“ hat zwar noch keine Fortsetzung, wird aber ebenso wie „[REC]“ ein US-Remake nach sich ziehen. Ob es einen „Apollo 19“ geben wird, bleibt abzuwarten. Allerdings ist es wahrscheinlich – allein in den USA hat der Film sein Budget binnen vier Wochen mehr als verdreifacht. Vielleicht werden dann ja auch grobe Patzer wie fehlende Schwerelosigkeit ausgemerzt. Nach dem Ende von "Apollo 18" bleibt auch eine elementare Logik-Frage zurück: Wie konnte dieses "Footage" überhaupt gefunden werden?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder angeblich echtes Material gefunden wird. Bei „Blair Witch Project“ dachten damals viele, das Filmmaterial wäre tatsächlich in den Wäldern von Burkittsville gefunden worden. Das lag an einer großen viralen Kampagne, die für den Film veranstaltet wurde und den Mythos einer Hexe in Maryland anfachte. Bei „Apollo 18“ war das ganz ähnlich. Lange wurde behauptet, das Material sei tatsächlich echt; eine Website wurde erstellt, „geheime Dokumente“ tauchten auf, Verschwörungstheorien wurden angeheizt. Und auch heute noch glauben viele, so wie 1938 in New Jersey, das entspräche den Tatsachen.

"Apollo 18" läuft ab dem 13. Oktober 2011 in den deutschen Kinos.