„Kates Krankenschwester“ ist nicht tot - Wie Medien das Zerrbild eines Selbstmordes aufbauschen

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 10. Dezember 2012

Hier eine Geschichte, die Sie in den letzten Tagen wahrscheinlich öfter gehört haben: Der australische Radiosender 2Day FM hat am Dienstagmorgen einen Telefonscherz veranstaltet - zwei Moderatoren gaben sich als Prinz Charles und Queen Elizabeth II. aus und riefen in dem Krankenhaus an, in dem Kate Middleton am Tag zuvor wegen heftiger Morgenübelkeit eingeliefert wurde. Dort fiel eine Krankenschwester kurioserweise auf den schlecht imitierten Akzent der Moderatoren herein und gab der vermeintlichen Queen private Auskünfte über den Gesundheitszustand Kate Middletons. Die Krankenschwester erfuhr später, dass sie einem plumpen Streich auf den Leim gegangen war und brachte sich am Freitag aus Scham darüber um. So weit die Geschichte, die von den Medien herumerzählt und aufgebauscht wird. Das Problem: Diese Geschichte ist gar nicht wahr.

Was ist tatsächlich geschehen? Fakt ist: Jacintha Saldanha, Mutter zweier Kinder (14 und 16), arbeitete seit vier Jahren im Edward VII.-Krankenhaus, der bevorzugten Privatklinik der britischen Königsfamilie, und wurde am Freitagmorgen tot aufgefunden. Offenbar hat sich die 46-Jährige umgebracht - wahrscheinlich hat die Tatsache, dass die schon seit Jahren labile und leicht zu stressende Frau, auf einen schlecht inszenierten Telefonstreich hereinfiel, ihr das Leben so schwer gemacht, dass sie nicht weitermachen konnte. Der große Haken an der Sache: Die Krankenschwester, die sich umgebracht hat, Jacintha Saldanha, ist gar nicht die Krankenschwester, die die Auskünfte gegeben hat.

Wer sich die Mühe macht, den Scherzanruf auf Youtube zu finden, hört zu Beginn, wie die beiden Moderatoren den Plan aushecken, in dem Krankenhaus als Queen Elizabeth und Prinz Charles anzurufen. Sie wählen die Nummer, eine Krankenschwester nimmt den Anruf an der Rezeption entgegen: „Hallo, guten Morgen, hier ist das Edward VII.-Krankenhaus. Wie kann ich Ihnen helfen?“. Die Moderatorin antwortet: „Hallo, könnte ich bitte mit Kate, meiner Enkelin, sprechen?“. Krankenschwester: „Oh, natürlich, bleiben Sie bitte dran.“ Danach wird das Gespräch durchgestellt und eine andere Krankenschwester unterhält sich knapp drei Minuten lang mit der Moderatorin. Sie erzählt, dass Kate grade schläft, es ihr aber schon besser geht, dass sie eine Infusion bekommen hat, weil sie dehydriert war, als sie eingeliefert wurde und dass Besuch am besten morgens nach neun Uhr empfangen werden könnte. Dann endet das Gespräch und die Moderatoren freuen sich, dass sie tatsächlich richtige Informationen erhalten haben. Die Krankenschwester, die die Informationen herausgegeben hat, ist aber gar nicht diejenige, die in aller Munde ist. Jacintha Saldanha ist nur diejenige, die den Anruf durchgestellt hat - das Gespräch mit ihr dauerte nicht einmal zehn Sekunden und enthielt keinerlei vertrauliche Informationen. Ihr einziger „Fehler“ war, dass sie nicht erkannt hat, dass nicht wirklich die Queen angerufen hat. Aber auch dafür kann man Saldanha nicht die Schuld geben - sie sprach nur gebrochen englisch und hat mit Sicherheit nicht gar nicht bemerkt, dass der Akzent nur schlecht imitiert war. Saldanha hat sich also nichts zu schulden kommen lassen. Trotzdem - jene sieben Sekunden, in denen sie mit der Moderatorin sprach, beendeten ihr Leben.

Warum fragt niemand danach, wie es sein kann, dass die andere Krankenschwester, die vertrauliche Informationen herausgegeben hat und perfekt englisch spricht, den Akzent nicht durchschaut hat. Oder warum sie nicht stutzig wurde, als Mitarbeiter des Studios die Hunde der Queen imitierten. Oder warum sie auch Prinz Charles nicht von einem australischen Radiomoderator unterschieden kann, obwohl die Täuschung so offensichtlich war? Natürlich - niemand würde nachfragen, ob denn da wirklich die Königin am Telefon ist - wie sollte sie sich auch ausweisen? Jedoch verrät die ehrfürchtige, nervöse Stimme der Krankenschwester bis zum Ende des Telefonats eindeutig, dass sie den Streich nicht durchschaut hat.

Die Moderatorin, Mel Greig, und ihr Kollege Michael Christian, hatten überhaupt nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich irgendwelche Informationen bekommen würden. Sie dachten, dass der Schwindel sofort auffliegen würde und sie aus der Leitung geworfen werden. Am Tag nach dem Selbstmord  wurden beide beurlaubt und die Sendung aus dem Programm genommen. Greig und Christian gaben jetzt ihr erstes Interview zum Thema, nachdem sie sich schon zuvor mehrfach entschuldigt hatten. Die beiden reagierten sehr emotional auf die Fragen und sind gezeichnet von den Ereignissen. Gerüchten zufolge werden sie psychologisch betreut.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Moderatorenduo die Sendung nicht wieder aufnehmen darf bzw. möchte. Schuld trifft die Moderatoren jedoch nicht - nicht sie entscheiden, ob ein Fake-Anruf gesendet wird, oder nicht. Dafür hat der Radiosender einen eigenen Anwalt und einen Programmchef. Die Moderatoren sind lediglich dafür zuständig, den Anruf durchzuführen.

„Kates Krankenschwester“ ist nicht tot - Wie Medien das Zerrbild eines Selbstmordes aufbauschen