Hans Esser a.k.a Ali Levent a.k.a. Kwami Ogonno - Günter Wallraff wird 70

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 1. Oktober 2012

Er war der türkische Gastarbeiter Ali, der Somalier Kwami Ogonno und Hans Esser beim Klatschblatt „Bild“. Jedes Mal hat Wallraff Missstände aufgedeckt - Lohndumping, mangelnde Hygienezustände, verschleierte Finanzangaben, unlauterer Wettbewerb. In Norwegen und Schweden ist wallraffing sogar ein offizielles Wort. Es lässt sich nicht leugnen: Günter Wallraff ist DER investigative Journalist Deutschlands. Heute wird er 70. Ein Rückblick:

1942 wird Wallraff in Burscheid bei Köln geboren. Sein Vater arbeitet bei Ford und starb als Günter 16 war. Schon damals fing er an zu schreiben und schickte seine Werke an Heinrich Böll, mit dessen Neffen er befreundet war. 1962 schloss er die Ausbildung zum Buchhändler ab und arbeitete danach in verschiedenen Großbetrieben. 1965 druckte eine Gewerkschaftszeitung seine ersten Reportagen - schon damals erregten seine Beobachtungen Aufsehen. Es folgten Arbeiten für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften Bis 1969 recherchiert er als Alkoholiker, Obdachloser, Student auf Zimmersuche und potenzieller Napalmlieferant für die US-Armee.

Im Mai 1974 kettet er sich in Athen an eine öffentliche Laterne und verteilt Flugblätter, die das Regime kritisieren. Er wird bei seiner Verhaftung misshandelt, gefoltert und inhaftiert. Im August des gleichen Jahres wird er aber schon wieder, so wie alle politischen Gefangenen nach dem Zusammenbruch der Diktatur, wieder freigelassen. Drei Jahre später schleicht er sich für drei Monate bei der „Bild“-Redaktion in Hannover ein. Die „Anti-Bild-Trilogie“ wird sein populärstes Werk. Die Veröffentlichung zeiht sechs Rügen des Presserates gegen „Bild“ nach sich - und auch eine gegen Wallraff, der sich in der Redaktion als Hans Esser ausgegeben und somit „nicht zulässig“ recherchiert hatte. 1983 dann wird er Ali Levent Sinirlioglu - ein türkischer Gastarbeiter, der erfahren muss, wie man als Nicht-Deutscher bei bspw. McDonalds und Thyssen behandelt wird. 2003 zeigte sich, wie wenig sich der Axel Springer Verlag, bei dem auch „Bild“ verlegt wird, über souveränen Journalismus freut: man beschuldigte Wallraff, für die Stasi gearbeitet zu haben. Die Vorwürfe erwiesen sich aber schnell als völlig aus der Luft gegriffen.

Bis heute hat Günter Wallraff nicht aufgehört, die Missstände in Deutschland aufzudecken. Damit macht man sich keine Freunde. Aber das will Wallraff auch gar nicht. An seinem 50. und 60. Geburtstag ist er bei den geplanten Parties nicht aufgetaucht, versteckte sich vor dem Alter. Aber auch mit 70 will er nicht aufhören. Er will sich "hier und heut enoch einmischen", so lange es eben geht. Zuletzt arbeitete Wallraff undercover als Call Center-Agent und deckte die katastrophalen Zustände in der Bäckerei auf, die den Discounter „Lidl“ mit Aufbackbrötchen beliefert. Zur Reportage geht's hier.