Alice Schwarzer wird 70 - Ein Rückblick auf den Feminismus

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 3. Dezember 2012

Die Frauenbewegung war nicht leicht für die Männer. Natürlich nicht - sie waren ja die Opfer. Aber 50 Jahre später ist der Geist des Feminismus weitestgehend verflogen. Hin und wieder verirrt sich eine Diskussion um Frauenquoten in die Schlagzeilen, aber im Großen und Ganzen ist das Thema durch. Selbst viele Frauen sind es inzwischen Leid. Verständlich - welche Frau will schon einen Job bekommen, weil eine Quote erfüllt werden muss? Als wäre jede Frau von Natur aus weniger qualifiziert. Trotzdem gibt es sie noch immer, die verbissenen Kämpferinnen gegen das bitterböse Patriarchat, den harten Kern der Gleichberechtigung, die Revoluzzerinnen, die festgefahrene Normen sprengen wollten und jetzt selbst in ihrem Extremismus festgefahren sind. Und dabei denken natürlich alle an Alice Schwarzer. Zu Recht?

Als Alice Schwarzer 1975 in ihrer Streitschrift „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ offenbarte, dass jede Form von Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau eine Vergewaltigung darstellt, die von der Frau lediglich erotisiert würde, dass „sich Männergesichter in den Augen gedemütigter Frauen wie unmenschliche Fratzen [spiegeln]“ und Männer ohnehin nur „Zipfelträger“ seien, freuten sich all die armen, frustrierten, unterdrückten Hausfrauen, deren Männer sie lediglich zur Begattung heranzogen und sie dann wieder an den Herd banden. Warum sollten sie auch nicht? Endlich hatte eine Frau den Mut zu sagen, dass etwas gewaltig im Argen liegt. Das Männermonopol müsse gestürzt werden, Frauen sollten gleichberechtigt sein. So weit so gut. Wo stehen wir 30 Jahre später?

Heute gibt es keinen Beruf und auch sonst keine Tätigkeit mehr, die eine Frau zumindest gesetzlich nicht machen dürfte. Boxen, Wählen, Außenministerin oder Bundeskanzlerin werden - alles kein Problem. Und in vielen Broschüren und Sachbüchern steht irgendwo der Hinweis, dass zwar die männliche Form genutzt wird, damit aber auch jeweils die weibliche Form gemeint sei - damit man nicht jedes Mal „Helfer und Helferinnen“ schreiben muss. Oder „HelferInnen“. Trotzdem werden die Stimmen kaum leiser, die von der Macht der Männer und der Ohnmacht der Frauen sprechen. Dabei gibt es praktisch nichts mehr zu erkämpfen. Frau darf sogar abtreiben - dank Schwarzers Kritik am entsprechenden Verbot, die es 1971 öffentlichkeitswirksam auf das Titelblatt des „Stern“ schaffte. Damals hatte Schwarzer eine ganze Reihe Prominenter und Quasi-Prominenter Damen zusammengetrommelt, die sich dazu bekannten, schon einmal (damals illegalerweise) abgetrieben zu haben. 2005 distanzierte sie sich jedoch davon - nicht alle Frauen hätten wirklich abgetrieben gehabt - auch sie selbst nicht. Das Ganze sei nur als Provokation zu verstehen gewesen. Gefruchtet hat's trotzdem: Der entsprechende Paragraph wird drei Jahre später zugunsten der weiblichen Selbstbestimmung geändert.

Warum gibt es Feministinnen noch? Das ewige Klagen nach mehr Beachtung allein ist es doch, das verhindert, dass Frauen sich gleichberechtigt fühlen können. Endlich einzusehen, dass niemand Frauen mehr für minderwertig hält, scheint den in Rage gebrachten Kämpferinnen schwer zu fallen. Da streitet man lieber noch etwas um des Streitens Willen und verlangt fleißig weiter nach nutzlosen Frauenquoten, mit denen sich die Emanzipierten selbst als Opfer brandmarken. Alice Schwarzer aber ficht keine kleinkarierten Kämpfe mehr. Sie macht sich für echte Probleme stark. Zum Beispiel dafür, dass niemand Frauen unter ein Kopftuch zwingen darf. Recht hat sie.

Und doch: Es war eine Weile ruhig um Deutschlands Frauenrechtlerin Nummer 1. Als Polanski in der Schweiz unter Hausarrest gestellt wurde, meldete sie sich wieder. Und natürlich war sie mitten im Geschehen, als es Jörg Kachelmann an den unschuldigen Kragen ging - „finster-dogmatisch“ sei sie aufgetreten, urteilte Welt. An ihr kommt man eben nicht vorbei. Allein schon, weil ihre Frauenzeitschrift „Emma“ noch immer existiert - nach fast 36 Jahren! Ihren Biss hat die 70-Jährige nicht verloren. Nur unnötiges Polemisieren („Zipfelträger“) hat sie nicht mehr nötig. Ihr Ziel ist nicht, Männer zum überheblichen, aggressiven Geschlecht zu erklären, sondern jegliche Form von aufgezwungener Geschlechterrolle auszumerzen. „Die Geschlechterrollen engen Frauen wie Männer ein. Beide müssen sich davon befreien“, schreibt sie auf ihrer Webseite. Der Kampf ist also noch nicht vorbei.